Der Dunkle Code
Abend vom Caravaggio-Gemälde abgetrennt hatte. Der Caravaggio war durchaus wertvoll, aber er war praktisch unverkäuflich – außer vielleicht an einen stinkreichen amerikanischen Sammler – und ein solches Geschäft würde unnötige Risiken bergen, dachte Dietrich. Er musste die Ruhe bewahren, bei seinem ursprünglichen Plan bleiben und den Caravaggio so schnell wie möglich wieder hergeben. Allerdings nicht ganz umsonst …
Er rollte den brüchigen Stoff auf. Das Ölgemälde darauf zeigte ein bayerisches Hirtenmädchen. Es handelte sich eindeutig um ein romantisches Gemälde aus dem frühen 19. Jahrhundert, von einem völlig unbekannten Maler. Dietrich drehte das Bild um und befestigte es vorsichtig mit Reißnägeln auf dem Arbeitstisch. Das Bild vom Hirtenmädchen mit den roten Wangen hatte so gut wie keinen Wert.
Dietrich nahm die UV-Lampe in die Hand und beleuchtete den grauen Hintergrund des Gemäldes. Zweimal fuhr er mit der Lampe die gesamte Leinwand entlang. Nichts! Anschließend richtete er gewöhnliches Halogenlicht auf die Leinwand, aber es brachte ebenso wenig zum Vorschein.
Plötzlich beschlich Dietrich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Er blickte zum Kellerfenster und löschte das Licht. Die Treppe knarrte. Dietrich trat hinter einen Stützpfeiler aus Backsteinen und versuchte sich zu erinnern, wo er seine Smith & Wesson Police Special hingelegt hatte. Lag sie noch im Tresor?
Blinkend gingen die Neonröhren an der Kellerdecke an. Achim stand im Jogginganzug am unteren Ende der Treppe, wo er unbemerkt aufgetaucht war. Ein kleines Lächeln spielte auf dem pockennarbigen Gesicht des jungen Mannes.
»Guten Morgen, Boss. Ich habe ein Geräusch gehört und mir gedacht, ich seh mal nach. Entschuldigung.«
Dietrich Gruber trat hinter dem Pfeiler hervor und setzte sich wieder an den Arbeitstisch. Sein Gesicht war rot vor Zorn, aber das wollte er seinem Untergebenen nicht zeigen. Der hatte tatsächlich gelernt, sich geschmeidig zu bewegen, nicht umsonst hatte er die Wochenendkurse der Münchner Polizeiakademie besucht. Gruber nahm erneut die UV-Lampe zur Hand und hielt den Lichtkegel auf die linke obere Ecke des Bildes. Achim war hinter ihn getreten, lautlos und schnell.
»Hast du was gefunden, Boss?«, fragte er und schaute neugierig auf den Lichtkegel der UV-Lampe.
»Bis jetzt noch nicht.«
»Und wenn es eine dritte Leinwand gibt?«, schlug Achim vor, wobei er seinen dicken Zeigefinger auf eine Bildecke legte. »Ist da nicht was reingeklebt worden?«
Gruber fluchte innerlich. Achim sah mit seinen jungen Augen besser als er. Auf die Rückseite der Leinwand war tatsächlich ein Stück Baumwollstoff geklebt worden. Dietrich nahm das Skalpell, trennte vorsichtig den Flicken ab, drehte ihn um und legte ihn unter die Halogenlampe.
Das Stück Stoff war ungefähr so groß wie eine Streichholzschachtel. Auf die Rückseite hatte jemand mit Kopierstift einen Code geschrieben, den Dietrich Gruber beinahe gerührt las:
16186C152 423DHEG.
Er spürte, wie sich Wärme in seinen Adern ausbreitete und sein Puls sich beschleunigte. Der Code war in Fraktur geschrieben, dem alten deutschen Schrifttyp. Trotzdem erkannte Dietrich die Handschrift seines Vaters.
»Das ist eine Geheimsprache«, sagte Achim. »Was das wohl bedeutet?«
Gruber warf seinem Gehilfen einen strengen Blick zu. »Du könntest jetzt eigentlich mal wieder eine Runde im Garten drehen.«
Nachdenklich sah er seinem Untergebenen nach. Achim schien sich sehr für diese Angelegenheit zu interessieren, die ihn überhaupt nichts anging. Dann vertiefte sich Gruber wieder in den Code, er übertrug die Zahlen- und Buchstabenfolge auf ein Stück Papier und wunderte sich, wie geradezu kindlich einfach sie war.
Diesen Code gefunden zu haben, war eine unbeschreiblich große Erleichterung. Und es war Anlass für nahezu religiöse Freude und Stolz.
Der Blick auf die Handschrift seines Vaters bewegte Dietrich zutiefst. Ihm war, als könnte er sehen, wie die ansonsten so robuste Schrift seines Vaters in den letzten Stunden des Dritten Reiches vor lauter Eile hektischer wurde, kurz bevor das aus Hitlers Größenwahn entstandene Kartenhaus einstürzte.
12
Marita Weckmans Gesicht war ernst, als sie auf dem Bahnsteig ihre Schüler zählte. Aaro und die Praktikantin Essi Manneria blieben draußen, als die anderen nach und nach in den Zug zum Flughafen Fiumicino stiegen. Aus dem Augenwinkel sah Aaro, dass Könö ihm durchs Fenster die Zunge
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