Der Dunkle Code
rausstreckte, aber er machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf zu reagieren.
»Fünfzehn«, beendete Marita die Zählung. »Alle sind da, außer euch zwei. Also Essi, du trägst jetzt die Verantwortung für Aaro. Ihr fliegt heute Abend nach Brüssel, nach der Zeugenvernehmung. Falls ihr doch über Nacht bleiben müsst, nehmt ihr dieselbe Jugendherberge wie bisher. Capisce?«
»Si, capisco« ,sagte Essi und stieß Aaro heimlich an. Die Durchsage am Bahnhof ertönte, dann setzte sich der Zug in Bewegung. Während er sich entfernte, spürte Aaro, wie ihn eine seltsame Mischung aus Ruhe und brennender Abenteuerlust überkam.
»Wir haben noch ziemlich viel Zeit bis zur Vernehmung«, sagte er zu Essi. Er mochte die große, blonde Praktikantin, die nach dem Studium Lehrerin werden wollte. Sie war nicht annähernd so förmlich wie die Weckman und die Halonen. Oder würde sie einmal genauso werden, sobald sie ihr Abschlusszeugnis in der Hand hatte? Jetzt hatte sie jedenfalls bereits das Handy am Ohr und sprach mit jemandem italienisch – Aaro vermutete, mit jenem Paolo, der sich während der gesamten Klass enfahrt schon so gern in Essis Nähe aufgehalten hatte.
»… si, perque no … magari. Ci vediamo lí, tesoro.«
Essi beendete das Gespräch und Aaro sah rote Flecken auf ihren Wangen. Es schien ihr ernst zu sein mit diesem Paolo. Das war nur gut, denn Aaro hatte für die Stunden vor der Vernehmung eigene Pläne. Ihre Koffer befanden sich bereits an der Stazione Termini in der Gepäckaufbewahrung.
»Du, Essi«, sagte Aaro, als sie kurz darauf an der Theke eines Espresso-Kiosks standen. »Ich müsste ein paar Mails beantworten. Ich dachte, ich geh in ein Internetcafé. Du kannst ja inzwischen ein bisschen shoppen, in der Via die Condotti oder wo die Armani-Läden sonst sind. Oder?«
Essi richtete den Blick ihrer himmelblauen Augen auf einen unbestimmten Punkt oberhalb des Espressoautomaten. Der Vorschlag war für sie eindeutig interessant, aber im Nu riss sie sich zusammen, erinnerte sich offenbar an die Verantwortung, die sie trug, und erklärte: »Bis zur Vernehmung sind es sechs Stunden. Das ist ein bisschen viel, so lange kannst du dich nicht allein herumtreiben. Ich bin mit einem guten Freund von mir verabredet, in einer Stunde, für eine Rundfahrt mit dem Auto. Bis dahin hast du Zeit, aber du musst mir sagen, in welches Internetcafé du gehst.«
Aaro gab ihr die Visitenkarte des Internetcafés und machte sich schnell auf den Weg. Er warf einen Blick in die Geldbörse und nahm sich ein Taxi, denn jetzt konnte jede Minute Gold wert sein. Zum Glück gab es in den römischen Taxis genau festgesetzte Preise pro Kilometer, anders als zum Beispiel in Stockholm.
In der kleinen Via Principe Amedeo zwischen Santa Maria Maggiore und der Stazione Termini stieg Aaro aus. Das Mädchen mit den Locken, das in der Nacht Dienst gehabt hatte, war nicht da, stattdessen hing ein asiatischer Standard-Nerd mit fettigen Haaren hinter der Theke und saugte an seiner Cola wie am Babyfläschchen. Aaro sagte buongiorno, dann schickte ihn der Angestellte zum Computer Nummer sechs.
Über Wikipedia suchte Aaro nach Informationen zu dem gestohlenen Kunstwerk, Caravaggios Grablegung Christi, außerdem etwas zum Maler und dazu einen Grundriss der Sixtinischen Kapelle. Er druckte alles aus, dann gab er das Stichwort FALERIA ein, das er auf dem Videoausschnitt gehört hatte.
Treffpunkt Valeria, hatte der Attentäter in sein Mikrofon gesagt.
Es schien sich dabei um einen Nachnamen und einen Ortsnamen zu handeln, ein Lokal namens Faleria gab es im Internet jedenfalls nicht. Allerdings eine Fußballmannschaft, die so hieß, und eine Bauchtänzerin. Aaro richtete seine Aufmerksamkeit auf die Dörfer und Städte. Auf Korsika gab es ein winziges Dorf namens Falerria, mit zwei r. In der Provinz Kalabrien fand sich eine ebenso winzige Kirchengemeinde, die so hieß. Aber dann: Fünfzig Kilometer nordwestlich von Rom lag eine gleichnamige Ortschaft mit dreitausend Einwohnern, an der Straße, die nach Cività Castellana und Viterbo führte, nicht weit vom Naturschutzgebiet Valle de Treja.
Aaro druckte die Fakten von der Homepage der Kommune Faleria aus. Die meisten Einwohner pendelten zur Arbeit nach Rom. Schöne Landschaft, dazu eine alte Burgruine, die derzeit mit EU-Mitteln restauriert wurde. Außerdem druckte er eine Karte der Region Lazio aus, auf der deutlich der schnellste Weg von Rom nach Faleria zu erkennen war. Außerhalb des
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