Der Dunkle Code
Berufsverkehrs würde die Fahrt sicher nicht länger als eine Stunde dauern, dachte Aaro und fragte sich, was Signor Paolo wohl für ein Auto hatte.
Das stellte sich wenig später heraus, als ein schwarzer Alfa Romeo mit quietschenden Bremsen vor dem verabredeten Treffpunkt an der U-Bahn-Station hielt. Ungeachtet des wütenden Hupens anderer Autos, sprang der Fahrer aus dem Wagen, küsste Essi auf beide Wangen und nickte Aaro kurz zu.
Aaro zwängte sich auf die Rückbank des Sportwagens und Essi nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Paolo ließ den Motor an, machte das Fenster auf und streckte die linke Hand nach draußen, um sich so eine Lücke im Verkehrsstrom zu verschaffen. Offensichtlich machte man in Italien einscherenden Autos Platz und konnte umgekehrt damit rechnen, dass man reingelassen wurde, dachte Aaro. In Finnland würde bei diesen Regeln jeder Fahrer einen Unfall pro Stunde produzieren.
Essi erklärte Paolo etwas, konnte sich aber nicht ganz verständlich machen, weshalb sie ins Englische wechselte, zu Aaros Glück. Paolo war der Meinung, dass sie durchaus eine längere Tour in die Umgebung von Rom machen konnten. Essi erinnerte jedoch daran, dass sie in gut vier Stunden auf dem Polizeirevier sein mussten. Aaro unterbrach die Debatte: »Ich kenne da eine tolle Gegend im Latium! Da gibt es eine Burg und ein Tal, das unter Naturschutz steht. Alte Eichen und Kletterrosen. Der Ort heißt Faleria. Es sind nur fünfzig Kilometer bis dahin.«
»Fünfzig Kilometer bei diesem Verkehr – das sind zwei Stunden Fahrt«, urteilte Essi und warf einen Blick auf Paolo. Dieser schien beleidigt zu sein, weil sein Auto für so langsam gehalten wurde, darum trat er kräftig aufs Gaspedal. Der Alfa Romeo raste in hohem Tempo in Richtung Lepanto, einem nördlichen Stadtteil von Rom.
»Zwei Stunden, ha«, sagte Paolo. »Die kurze Strecke legen wir in weniger als einer Stunde zurück und dann, Essi, wirst du den schönsten Nationalpark der Welt sehen! Der Junge hat recht.«
»Also gut. Wenn wir nur nicht zu spät zur Polizei kommen«, seufzte Essi mit geröteten Wangen. Sie konnte ihre Begeisterung nicht verbergen.
Paolo gab noch mehr Gas und bald fuhren sie nördlich des Vatikans der Via Cassia entgegen, der antiken Straße, die von Rom aus nach Nordosten führte. Paolo fragte Aaro nach dem Weg, denn es stellte sich heraus, dass er nie im Nationalpark Valle de Treja, geschweige denn in Faleria gewesen war.
Aaro studierte die Karte, die er ausgedruckt hatte, und sagte Paolo so gut er konnte, wie er fahren musste. Dazwischen versuchte Aaro herauszufinden, was dieser Paolo für ein Kerl war, aber er bekam nur heraus, dass er Handel trieb. Import und Export von Textilien. Das Geschäft schien nicht sonderlich rentabel zu sein, denn der Alfa gab bei jedem Schalten in den vierten Gang scheppernde und knallende Geräusche von sich und das Schaumgummi der Rückbank drängte mit aller Macht unter dem Bezug hervor.
Aber Aaro war auf jeden Fall froh, einen für italienische Verhältnisse ziemlich kräftigen Kerl dabeizuhaben. Für den Fall, dass sich in Faleria tatsächlich der Unterschlupf der Kunsträuber befand … Ohne dass es die andern merkten, speicherte er die Notrufnummer 113 der italienischen Polizei und die 112 der Carabinieri als Kurzwahl in seinem Handy.
Marcello Bari, der Leutnant der Sondereinheit der Polizia di Stato, glaubte nicht an Gespenster und auch nicht an Ufos. Aber trotz allen Unglaubens schauderte der junge Leutnant, als er zur Kuppel des Petersdoms hinaufschaute. Bari selbst stand auf dem Dach des Kirchenschiffs, zu Füßen der riesigen Statuen über der Barockfassade. Er verrenkte sich fast den Hals, um die Kuppel spitze in 133 Metern Höhe sehen zu können.
Was bildeten sich die Kunsträuber eigentlich ein? Wie wollten sie den Beutel mit den Blütenblättern, die sie als Lösegeld verlangt hatten, von der Spitze der Hauptkuppel pflücken? Allem Anschein nach mit einem Helikopter. Leutnant Bari musste an die Anfangsszene von Fellinis Film La Dolce Vita denken, in der ein Hubschrauber eine Christus-Statue auf den Petersplatz bringt, wobei die ausgebreiteten Arme der Figur ganz Rom segnen. Eine Stunde zuvor hatten Leutnant Bari und Kardinal Guido Falcone persönlich überprüft, dass die 900 Gramm kostbarer Blütenblätter sachgerecht in einen Beutel aus besonders strapazierfähiger Kevlar-Faser verpackt wurden, der dann mit einem Tragegriff aus einem etwa fünfzig Zentimeter langen Stück
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