Der dunkle Fluss

den Parkplatz. Wir trafen uns an der Tür unter einer der vielen Lampen.
    »Hey, Jamie. Wie geht's ihr?«
    Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Sie wollen uns noch nicht zu ihr lassen. Ich glaube, sie ist bei Bewusstsein, aber irgendwie nicht ansprechbar.«
    »Ist Dad hier?«
    »Ja. Und Dolf.«
    »Und Miriam und deine Mom?«
    »Die waren noch in Charlotte. Aber sie dürften bald hier sein. George ist rübergefahren, um sie abzuholen.«
    »George?«
    »George Tallman.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Jamie winkte ab. »Das ist eine lange Geschichte. Vertrau mir.«
    Ich nickte. »Ich gehe mal rein. Ich muss mit Dad reden. Wie hält sich Dolf?«
    »Alle sind ziemlich erledigt.«
    »Kommst du mit?« Er drehte den Kopf. »Ich halt's da drin nicht aus.«
    »Na, dann bis später.« Ich wandte mich zur Tür, aber er legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich bin nicht bloß zum Rauchen hier draußen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Er schaute hoch und zur Seite, nur nicht in mein Gesicht. »Es ist nicht schön da drin.«
    »Was meinst du damit?«
    »Dolf hat sie gefunden, okay? Sie kam nicht nach Hause, und da ist er sie suchen gegangen. Er fand sie da, wo man sie vom Weg gezerrt hatte. Sie blutete und war kaum noch bei Bewusstsein. Er hat sie nach Hause geschleppt, in den Wagen gesetzt und hierhergefahren.« Er zögerte.
    »Und?«
    »Und sie hat geredet. Seit sie hier ist, hat sie kein Wort mehr gesagt — zumindest zu niemandem von uns —, aber sie hat mit Dolf gesprochen. Und er hat den Cops erzählt, was sie gesagt hat.«
    »Nämlich?«
    »Sie ist nicht bei sich, vielleicht ein bisschen verwirrt, aber Dolf hat sie erzählt, das Letzte, woran sie sich erinnert, ist, dass du sie geküsst hättest. Sie hätte dir gesagt, sie hasst dich, und wäre dann weggerannt.«
    Seine Worte prasselten auf mich nieder.
    »Die Cops sagen, sie wurde vielleicht eine halbe Meile weit vom Steg überfallen.« Sein Gesicht sprach Bände. Eine halbe Meile. Mühelos im Laufschritt zu schaffen.
    Es passierte wieder.
    »Sie glauben, ich hätte was damit zu tun?«
    Jamie sah aus, als wäre er gern irgendwo anders. Er schien sich in seinem Körper zu winden. »Ist ziemlich übel, nicht, Bruder? Niemand hier hat vergessen, warum du weggegangen bist.«
    »Ich würde Grace nie etwas antun.«
    »Ich mein ja nur —«
    »Ich weiß, was du meinst, verdammt. Was sagt Dad?«
    »Kein Wort, Mann. Er hat zugemacht, irgendwie unheimlich. Ich hab so was noch nie gesehen. Und Dolf — mein Gott, der sieht aus, als hätte ihm jemand einen Ziegelstein auf dem Kopf zertrümmert. Ich weiß nicht. Es ist scheußlich.« Er schwieg kurz. Wir wussten beide, worauf es hinauslief. »Ich stehe jetzt seit einer Stunde hier draußen. Ich dachte, du solltest es wissen ... bevor du da reingehst.«
    »Danke, Jamie. Ernsthaft. Das hättest du nicht tun müssen.«
    »Wir sind doch Brüder, Mann.«
    »Ist die Polizei noch da?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie haben 'ne ganze Weile hier gewartet, aber wie gesagt, Grace spricht eigentlich nicht. Ich glaube, jetzt sind sie draußen auf der Farm, Robin und ein Typ namens Grantham. Er arbeitet beim Sheriff. Er ist derjenige, der die ganzen Fragen stellt.«
    »Der Sheriff.« Ich spürte, wie mir ein Schwall von Gefühlen ins Gesicht stieg — die Abneigung, die Erinnerung. Es war der Sheriff von Rowan County gewesen, der mich wegen Mordes vor Gericht gebracht hatte.
    Jamie nickte. »Ebenderselbe.«
    »Moment mal. Wieso hat Robin dann etwas damit zu tun? Sie arbeitet für die Stadt.«
    »Ich glaube, sie bearbeitet alle Sexualfälle. Irgendeine Partnerschaft mit dem Sheriff's Office, wenn die Fälle außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegen. Sie steht immer in der Zeitung. Aber dieser Grantham — lass dich von dem nicht täuschen. Er ist erst seit ein paar Jahren dabei, doch er ist ein scharfer Hund.«
    »Robin hat mich befragt.« Ich konnte es immer noch nicht fassen.
    »Das musste sie, Mann. Du weißt, wie schwer es für sie war, zu dir zu stehen, als alle Welt dich hängen sehen wollte. Sie wäre fast gefeuert worden.« Jamie bohrte die Hände noch tiefer in die Hosentaschen. »Soll ich mit reinkommen?«
    »Ist das ein Angebot?«
    Er machte ein verlegenes Gesicht und antwortete nicht. »Kein Problem«, sagte ich und wandte mich ab.
    »Hey«, rief Jamie. Ich blieb stehen. »Was ich da gesagt habe dass ich froh bin, einen Platz in der ersten Reihe zu haben ... das hab ich nicht ernst