Der dunkle Fluss
gemeint. Jedenfalls nicht so.«
»Ist schon gut, Jamie. Das macht nichts.«
Ich trat durch die Schwingtüren. Leuchtröhren summten. Leute blickten auf und ignorierten mich dann. Ich bog um eine Ecke und sah als Erstes meinen Vater. Er saß da wie ein gebrochener Mann. Sein Kopf hing schlaff herunter, und er hatte die Arme um die Schultern geschlungen, als hätten sie zu viele Gelenke. Dolf saß sehr aufrecht neben ihm und starrte absolut regungslos die Wand an. Die Haut unter seinen Augen hing in blassrosa Halbmonden herunter, und auch er wirkte geschrumpft. Er sah mich als Erster und zuckte zusammen, als sei er bei etwas Verbotenem ertappt worden.
Ich ging in den Wartebereich hinein, in dem sie saßen. »Dolf.« Ich machte eine Pause. »Dad.«
Dolf stemmte sich hoch und wischte sich mit den Handflächen über die Schenkel. Mein Vater hob den Kopf, und auch sein Gesicht sah zerschmettert aus. Er schaute mir in die Augen und richtete den Rücken auf, als könne er mit bloßer Willenskraft ein zerbrochenes Gerüst wiederherrichten. Ich dachte an das, was Robin gesagt hatte: dass mein Vater geweint habe, als er hörte, ich sei wieder da. Jetzt sah ich nichts dergleichen. Seine Fäuste waren weiß und hart. Sehnen strafften die Haut an seinem Hals.
»Was weißt du über diese Sache, Adam?« Ich hatte gehofft, dass dies nicht passieren würde. Dass Jamie sich geirrt hatte. »Wie meinst du das?«
»Spiel nicht den Schlauberger, Junge. Was weißt du darüber?« Er wurde lauter. »Über Grace, verdammt.«
Einen Augenblick lang erstarrte ich, aber dann spürte ich den Krampf in meinen Händen, die Fassungslosigkeit, die meine Haut brennen ließ. Dolf wirkte traumatisiert. Mein Vater kam auf mich zu. Er war größer als ich und immer noch breitschultrig. Ich suchte in seinem Gesicht nach irgendeinem Grund zur Hoffnung und fand keinen. Also gut.
»Ich werde dieses Gespräch nicht führen«, sagte ich.
»O doch, verdammt, das wirst du. Du wirst mit uns sprechen, und du wirst uns sagen, was passiert ist.«
»Ich habe euch nichts zu sagen.«
»Du warst bei ihr. Du hast sie geküsst. Sie ist vor dir weggelaufen. Streite es nicht ab. Man hat ihre Kleider noch auf dem Steg gefunden.« Er hatte seine Entscheidung schon getroffen. Die Ruhe war nur Fassade. Sie war nicht von Dauer. »Die Wahrheit, Adam. Ausnahmsweise mal. Die Wahrheit.«
Aber ich hatte ihm nichts zu erzählen, also sagte ich das Einzige, was mir immer noch wichtig war. Obwohl ich meinen Vater kannte und wusste, was kommen würde, sagte ich es.
»Ich will sie sehen.«
Er stürzte sich auf mich. Er packte mich beim Hemd und schleuderte mich gegen die harte Wand. Ich sah jedes Detail seines Gesichts deutlich vor mir doch vor allem sah ich den Fremden in ihm, den reinen, alles zermalmenden Hass, als der letzte Rest seines Glaubens an mich zerbrach. »Wenn du das getan hast«, sagte er, »verdammt, dann bring ich dich um.«
Ich wehrte mich nicht. Ich ließ mich von ihm an die Wand pressen, bis sein Hass schrumpfte und sich in etwas verwandelte, das weniger total war, in Schmerz und Trauer. Als sei soeben etwas in ihm gestorben.
»Du solltest mich nicht fragen müssen«, sagte ich und nahm seine Hände von meinem Hemd. »Und ich sollte dir nicht antworten müssen.«
Er wandte sich ab. »Du bist nicht mein Sohn«, sagte er.
Er kehrte mir den Rücken zu, und Dolf konnte mir nicht in die Augen sehen. Aber ich wollte mich nicht klein machen lassen. Nicht jetzt. Nicht noch einmal. Also widerstand ich dem überwältigenden Drang, etwas zu erklären. Ich blieb stehen, und als mein Vater sich umdrehte, sah ich ihm in die Augen, bis er wegschaute. Ich setzte mich an den Rand des Wartebereichs, und mein Vater nahm auf der anderen Seite Platz. Irgendwann sah es aus, als wollte Dolf zu mir herüberkommen und mit mir sprechen.
»Sitzen bleiben, Dolf«, sagte mein Vater.
Dolf blieb sitzen.
Schließlich stand mein Vater auf. »Ich gehe mir die Beine vertreten«, sagte er. »Ich brauche ein bisschen unverdorbene Luft.« Als seine Schritte verklungen waren, kam Dolf herüber und setzte sich neben mich. Er war etwas mehr als sechzig Jahre alt, ein hart arbeitender Mann mit massigen Händen und eisengrauem Haar. Er war auf der Farm, so weit ich zurückdenken konnte. Mein ganzes Leben lang. Er hatte als junger Mann angefangen, und als mein Vater den Betrieb erbte, hatte er Dolf als seine Nummer zwei behalten. Sie waren unzertrennlich wie zwei Brüder. Tatsächlich war ich
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