Der dunkle Fluss
ab, ihre Haut spannte sich, und ich befürchtete, eines Tages könnte ich ihre Knochen hindurchschimmern sehen, wenn sie vor einem offenen Fenster vorbeiginge.
Es war beängstigend, und ich wusste nicht, was es bedeutete.
Ich betrat das stille Haus und roch den Kaffee, den meine Mutter so gern trank. Ich schenkte eine Tasse ein und trug sie vorsichtig die Treppe hinauf, ohne etwas zu verschütten.
Bis ich ihre Tür öffnete.
Die Mündung war schon an ihrer Schläfe, und ihr Gesicht war hoffnungslos und weiß über dem rosa Hausmantel. Sie drückte ab, als die Tür sich öffnete. Mein Vater und ich sprachen nie darüber. Wir begruben die Frau, die wir liebten, und es war so, wie ich es immer gewusst hatte: Tod und Blut gehörten dazu, wenn man vom Jungen zum Mann heranwuchs.
Danach schoss ich noch viele Hirsche.
ZEHN
D olf saß auf seiner Veranda und drehte sich eine Zigarette. »Morgen«, sagte ich, lehnte mich ans Geländer und sah seinen geschickten, flinken Fingern zu. Er musterte mich, während er das Papier anleckte und die Zigarette ein letztes Mal durch die Finger zog. Er fischte ein Streichholz aus der Hemdtasche und riss es mit dem Daumennagel an. Sein Blick wanderte zu dem Revolver, der in meinem Gürtel steckte. Er blies das Streichholz aus.
»Ist das meiner?«, fragte er.
Ich zog die Waffe aus dem Gürtel und legte sie auf den Tisch. Süßer Tabakduft umwehte mich, als ich mich vorbeugte, und sein Gesicht sah im scharfen Licht wie gemeißelt aus. »Sorry«, sagte ich.
Er nahm den Revolver und schnupperte an der Mündung, dann legte er ihn wieder hin. »Ist ja nichts passiert.« Er lehnte sich zurück, und der Stuhl knarrte unter ihm. »Fünf Jahre sind eine lange Zeit«, sagte er beiläufig.
»Yep.«
»Wahrscheinlich bist du aus einem bestimmten Grund nach Hause gekommen. Willst du mir davon erzählen?«
»Nein.«
»Vielleicht kann ich dir helfen.« Das Angebot war gut, und er meinte es ernst. »Diesmal nicht, Dolf.« Er deutete zum Fluss. »Ich hab das Feuer gerochen. Ich glaube, ich hab sogar die Flammen gesehen.« Er wollte darüber sprechen, er wollte alles wissen, und ich konnte es ihm nicht verdenken. »Die Geräusche wandern über den Fluss.« Er zog an seiner Zigarette. »Und du riechst nach Rauch.«
Ich setzte mich in den Schaukelstuhl neben ihm und legte die Füße auf das Geländer. Ich warf einen Blick auf den Revolver und dann auf Dolfs Kaffeebecher. Ich dachte an meine Mutter und an den weißen Hirsch.
»Jemand jagt hier auf dem Gelände«, sagte ich.
Er schaukelte langsam vor und zurück. »Dein Vater.«
»Er geht wieder auf die Jagd? Ich dachte, er hätte es aufgegeben.«
»Gewissermaßen.«
»Was heißt das?«
»Hier treibt sich eine Meute wilder Hunde herum. Sie kamen, nachdem die ersten Rinder erschossen worden waren. Sie riechen das Blut über Meilen. Finden nachts die Kadaver. Inzwischen sind sie auf den Geschmack gekommen. Anscheinend können wir sie nicht vertreiben. Dein Vater ist entschlossen, sie restlos abzuschießen, jeden einzelnen. Das ist seine neue Religion.«
»Ich dachte, hier wären nur einmal Rinder erschossen worden.«
»Wir haben's nur einmal dem Sheriff gemeldet. Passiert ist es inzwischen sieben- oder achtmal.«
»Und was für Hunde sind das?«
»Zum Teufel, ich weiß es nicht. Große. Kleine. Schmutzige Schleicher. Allesamt bösartig. Aber der Leitköter — verdammt, mit dem ist es anders. Sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Deutschem Schäferhund und Dobermann. Wiegt an die fünfzig Kilo. Schwarz. Schnell. Und verflucht gerissen. Ganz egal, aus welcher Richtung dein Vater kommt oder wie leise er ist, der Schwarze sieht ihn immer als Erster. Und verdrückt sich. Dein Alter Herr kommt nie zum Schuss. Er sagt, der Hund ist der Teufel persönlich.«
»Wie viele sind es?«
»Anfangs vielleicht ein Dutzend. Dein Vater hat zwei oder drei abgeschossen. Jetzt sind's noch fünf oder sechs.«
»Wer hat die anderen erledigt?«
»Der Schwarze, glaube ich. Wir haben sie mit aufgerissener Kehle gefunden. Lauter Rüden. Rivalen, nehme ich an.«
»Du lieber Gott.«
»Yep.«
»Warum erstattet ihr wegen der Rinder keine Anzeige mehr?«
»Weil der Sheriff nichts taugt. Er hat vor fünf Jahren nichts getaugt, und er hat keinen Grund gefunden, sich zu ändern, soweit ich sehe. Als wir ihn das erste Mal gerufen haben, ist er einmal um den Kadaver herumgegangen und hat dann gemeint, es sei vielleicht das Beste, wenn dein Vater einfach verkauft. Damit
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