Der dunkle Fluss
war die Sache für deinen Dad und mich erledigt.«
»Ist noch jemand im Krankenhaus?«
»Sie lassen uns nicht zu ihr. Sinnlos, da herumzusitzen. Wir sind vor ein paar Stunden nach Hause gekommen.«
Ich stand auf und ging zum Ende der Veranda. Über den Bäumen kam die Sonne herauf. Ich überlegte, wie viel ich Dolf erzählen sollte, und entschied, dass er alles wissen musste. »Es war Zebulon Faith«, sagte ich. »Er oder Danny. Sie haben's getan.«
Dolf schwieg lange. Ich hörte das Knarren seines Schaukelstuhls und dann seine Schritte auf den alten Dielen. Er blieb neben mir stehen, legte die Hände auf das Geländer und schaute hinaus auf die Nebelschleier, die vom Fluss heraufstiegen.
»Es war nicht Zebulon Faith«, sagte er.
Ich drehte mich verunsichert zu ihm um. Er zupfte einen Tabakkrümel von seiner Zunge, während ich auf seine Erklärung wartete. Er ließ sich Zeit damit.
»Brutal genug wäre er, denke ich. Aber er war vor drei Jahren wegen Prostatakrebs im Krankenhaus.« Er sah mich an. »Der alte Knabe kriegt keinen mehr hoch. Er ist impotent. Kein Druck mehr auf dem Rohr.«
»Woher willst du das wissen?«
Dolf seufzte und schaute auf den Fluss hinaus. »Wir hatten denselben Arzt, kriegten die Diagnose um dieselbe Zeit. Haben's zusammen durchgemacht. Nicht, dass wir Freunde oder so was gewesen wären, aber wir haben ein- oder zweimal darüber gesprochen.« Er zuckte die Achseln. »Wie das so geht.«
»Bist du sicher?«
»Ziemlich.«
Ich dachte daran, wie Dolf gegen den Krebs gekämpft hatte, während ich in irgendeiner fernen Stadt, in der ich nichts verloren hatte, auf Sinnsuche war. »Das tut mir leid, Dolf.«
Er spuckte noch einen Tabakkrümel aus und tat mein Mitgefühl mit einem Achselzucken ab. »Wieso glaubst du, es war einer von den beiden?«
Ich erzählte ihm, was ich wusste: von Dannys Ring, dem Brand und meinem Kampf mit Zebulon Faith. »Vielleicht war es gut, dass du ihn nicht umgebracht hast«, sagte Dolf.
»Ich wollte es.«
»Kann ich dir nicht verdenken.«
»Könnte aber sein, dass Danny es war.«
Dolf überlegte und antwortete dann zögernd. »Die meisten Leute haben irgendwo eine dunkle Ader. Danny ist in vieler Hinsicht ein ganz ordentlicher Junge, aber bei ihm liegt diese Ader dichter unter der Oberfläche als bei den meisten.«
»Wie meinst du das?«
Er betrachtete mich. »Ich habe viele Jahre damit verbracht, dir beim Schattenboxen zuzusehen, Adam. Du hast um dich geschlagen. Warst in vieler Hinsicht unberührbar. Es hat mich fast umgebracht, dich so zu sehen, aber ich konnte es verstehen. Du hast Dinge gesehen, die kein Junge sehen sollte.« Er schwieg, und ich schaute weg. »Wenn du mit blutigem Gesicht nach Hause kamst oder wenn dein Dad und ich dich aus dem Gefängnis holen mussten, war da immer eine Trauer in dir, eine Stille. Verdammt, Junge, dann sahst du halb verloren aus. Es fällt mir schwer, dir das zu sagen, aber so ist es. Danny dagegen, der war anders. Ihm sah man immer an, dass er seine Freude daran kaum unterdrücken konnte. Der Junge fing Schlägereien an, weil es ihm Spaß machte. Das war ein verdammt großer Unterschied.«
Ich widersprach nicht. In vieler Hinsicht hatte Dannys dunkle Ader das Fundament unserer Freundschaft gebildet. Ich hatte ihn sechs Monate nach dem Selbstmord meiner Mutter kennengelernt. Da hatte ich schon angefangen, mich zu prügeln und die Schule zu schwänzen. Die meisten meiner Freunde hatten sich von mir zurückgezogen. Sie wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten, und hatten keine Ahnung, was man zu einem Jungen sagt, dessen Mutter sich den Schädel weggeschossen hat. Auch das tat weh, aber ich jammerte nicht. Ich vergrub mich noch tiefer in mir selbst und gab alle anderen auf. Danny kam in mein Leben wie ein Bruder. Er hatte kein Geld, schlechte Zensuren und einen Vater, der ihn misshandelte. Seine Mutter oder eine anständige Mahlzeit hatte er seit zwei Jahren nicht mehr zu sehen bekommen.
Konsequenzen bedeuteten Danny überhaupt nichts. Sie waren ihm einfach scheißegal.
Ich wollte, dass es mir genauso ging.
Wir verstanden uns auf Anhieb. Wenn ich in eine Prügelei geriet, half er mir. Ich tat es umgekehrt auch. Ältere Jungen. Jungen in unserem Alter. Egal. Einmal, in der achten Klasse, klauten wir das Auto unseres Schulleiters und parkten es vor dem Massagesalon am Interstate Highway. Danny kriegten sie dafür dran: zwei Wochen Schulsperre, Jugendstrafe. Er erwähnte meinen Namen nicht ein einziges
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