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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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gelegen. Es war ja nichts Neues. Außerdem hatte dein Großvater die Ausgrabungen nur genehmigt, wenn sie den Mund darüber hielten. Er wollte nicht, dass Horden von betrunkenen Idioten hier heraufkamen und sich hei der Suche nach Pfeilspitzen zu Tode stürzten. Bestimmt gibt es ein paar verstaubte Unterlagen darüber, vielleicht in der Universität von Chapel Hill oder irgendwo in Washington. Aber in der Zeitung stand nichts davon. Anders, als es heute wäre.«
    »Warum hat mein Vater mir nie davon erzählt?«
    »Als du klein warst, wollte er dir keine Angst einjagen. Du solltest dir nicht den Kopf über Geister und dergleichen zerbrechen, und übrigens auch nicht über die Natur des Menschen. Als du dann älter warst, waren Miriam und Jamie zu klein. Und als ihr schließlich alle erwachsen wart, ist er wohl einfach nicht mehr dazugekommen. Aber es ist eigentlich kein Geheimnis.«
    Ich ging vorsichtig näher an die Spalte heran, und meine Füße schürften über den harten Granit. Ich beugte mich vor, doch ich war nicht nah genug, um in die Spalte hinunterzuschauen. Ich sah mich nach Dolf um. »
    »Was hat das mit der Frage zu tun, ob mein Vater verkauft oder nicht?«
    »Dein alter Herr ist wie die Sapona. Was ihn angeht, gibt es Dinge, für die es sich lohnt zu töten.« Ich starrte ihn an. »Oder zu sterben«, fügte er hinzu.
    »Ist das wahr?«
    »Er wird niemals verkaufen.«
    »Nicht mal, wenn die Farm mit Jamies Weinbergen bankrottgeht?« Dolf war sein Unbehagen anzusehen. »So weit wird es nicht kommen.«
    »Darauf würdest du wetten?«
    Er gab keine Antwort. Ich schob mich noch näher heran, beugte mich über den grausamen Schlund und spähte hinunter. Der Schacht war tief und von spitzen Steinvorsprüngen durchzogen. Aber die Sonnenstrahlen fielen schräg hinein, und ich glaubte dort unten etwas zu sehen.
    »Was haben die Archäologen mit den menschlichen Überresten gemacht?«, fragte ich. »Etikettiert. Weggebracht. Liegen wahrscheinlich irgendwo in ein paar Kisten, denke ich mir.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja. Warum?«
    Ich beugte mich noch weiter vor und blinzelte ins Dunkel. Ich legte mich auf den warmen Felsboden und schob den Kopf über die Kante, sah eine fahle, glatte Rundung, darunter etwas Hohles und eine Reihe kleiner, weißer Gegenstände wie Perlen auf einer Schnur. Dann einen großen, dunklen Klumpen, der aussah wie fleckiges, verrottetes Tuch.
    »Was würdest du sagen, wonach das aussieht?«, fragte ich.
    Dolf legte sich neben mir auf den Boden. Er starrte eine ganze Weile hinunter und rümpfte die Nase. Ich sah ihm an, dass er es ebenfalls riechen konnte: einen leisen Hauch von etwas Verfaultem. »Gütiger Himmel«, sagte er.
    »Hast du ein Seil im Truck?«
    Er drehte sich auf die Seite, und die Metallnieten seiner Jeans kratzten über den Felsboden. »Ist das dein Ernst?«
    »Es sei denn, du hättest eine bessere Idee.«
    »Gütiger Himmel«, wiederholte Dolf. Er stand auf und ging zu seinem Truck.
    Ich knotete das Seil am Truck fest und ließ die lose Rolle über die Kante fallen. Das Seil schlug gegen die Felswand, als es hinunterglitt.
    »Hast du zufällig auch eine Taschenlampe?«
    Er nahm eine aus dem Truck und reichte sie mir. »Du musst das nicht tun«, sagte er. »Ich bin nicht sicher, was ich da unten sehe. Du etwa?«
    »Ziemlich sicher.«
    »Hundertprozentig?« Er antwortete nicht. Also stellte ich mich mit dem Rücken zu dem Spalt und packte das Seil. Er legte mir die Hand auf die Schulter und hielt mich fest. »Tu das nicht, Adam. Es ist nicht nötig.«
    Ich grinste. »Lass mich einfach.«
    Dolf brummte etwas, das wie »Blöder Bengel« klang.
    Ich legte mich auf den Bauch, ließ die Beine hinunterhängen und stemmte die Füße gegen die Schachtwand. Ich ließ sie so viel von meinem Gewicht tragen, wie sie konnten, und vertraute den Rest dem Seil an. Ich warf Dolf einen kurzen Blick zu, und dann war ich drin, und der Rand der Spalte schien sich über mir nach innen zu falten.
    Kälte kroch von unten herauf, und die Luft wurde dicker. Gesteinsschichten zogen an mir vorbei, und oben verschwand die warme, helle Welt. Die Sonne ließ mich allein, und ich meinte, die dreihundert spüren zu können, einige noch am Leben, als sie hineinstürzten. Einen Augenblick lang gingen meine Gedanken mit mir durch. Es war real — als könnte ich den Aufprall der Kugeln auf dem Fels hören, die schrillen Schreie der Frauen, die lebendig hinuntergeworfen wurden, um die teure Munition zu sparen.

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