Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
heiraten.«
Schweigen.
»Meint Ihr nicht, ein bisschen Entgegenkommen wäre in Anbetracht dieser Tatsache sinnvoll?« Das war wieder die Stimme ihres Vaters.
Schweigen.
»Überleg dir, Lorenzo, auf welcher Seite du stehst.« Nicht nur Vaters Ton wurde vertraulicher. Er wechselte auch von der förmlichen Anrede ins inoffizielle Du. Und Eva Maria ärgerte sich. Hatte sie doch gewusst, dass ihr Vater als capitano seiner contrada versuchen würde, Lorenzo in ein abgekartertes Spiel hineinzuziehen! Und sie wusste auch, dass Lorenzo sich niemals darauf einlassen würde. Deshalb wunderten sie seine nächsten Worte auch nicht.
»Ich bin ein Panther«, hörte sie Lorenzo sagen. »Und ich werde diesen Palio für meine Familie, für meine contrada reiten.«
»Aber welches ist deine Familie, wenn du meine Tochter heiratest?«
»Der Panther und der Adler sind Verbündete«, antwortete Lorenzo. »Dennoch reite ich für die contrada, in der ich geboren wurde.«
»Nun, das kannst du ja auch. Zumindest offiziell.«
Lorenzo schwieg erneut.
Signore Morelli seufzte laut, nachdem er eine Weile vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte. »Und zu welcher contrada werden meine Enkelkinder gehören?«
»Zum Panther natürlich«, erwiderte Lorenzo jetzt. »Meine Kinder werden selbstverständlich kleine Panther.«
Eva Maria schloss die Augen. Sie wollte gar nicht hören, was ihr Vater dazu zu sagen hatte. Aber nein, natürlich wollte sie es doch hören! Und sie hörte es auch.
»Das werden wir erst noch sehen«, entgegnete Morelli. Seine Stimme war schneidend. »Du weißt, dass ich der Verbindung zwischen dir und meiner Tochter nur aus einem einzigen Grund zugestimmt habe.«
»Und aus ebendiesem Grund werdet Ihr Eure Einwilligung auch nicht wieder zurückziehen«, erwiderte Lorenzo schlagfertig. Seine Stimme war vollkommen ruhig, als er fortfuhr: »Es ist mindestens ebenso sehr in Eurem Interesse wie in meinem, dass diese Hochzeit stattfindet. Und zwar möglichst bald.«
Hinter der Holztür bekam Eva Maria mit, wie ihr Vater über die Unverfrorenheit des jungen Mannes empört nach Luft schnappte. »Raus mit dir, bastardo! R a u s!« Den letzten Befehl schrie er.
Sie konnte gerade noch rechtzeitig den Kopf zurückziehen, bevor die Tür aufgerissen wurde und Lorenzo mit zornesroten Wangen an ihr vorbeistürmte, ohne sie auch nur wahrzunehmen.
»Lorenzo!«, rief sie ihm nach. »Lorenzo, so warte doch!« Sie streckte die Hände nach ihrem Verlobten aus, um ihn aufzuhalten, um ihn in ihre Arme zu schließen und aus seinem Mund zu hören, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war. Dass der Streit mit ihrem Vater nichts mit seinen Gefühlen für sie zu tun hatte.
Doch Lorenzo schüttelte unwirsch ihre Hände ab, entwand sich ihrem Versuch, ihn zu umarmen, indem er sie an der Schulter fasste und von sich weghielt, während seine Augen sie böse anfunkelten. Schließlich wandte er sich ab und eilte durch die Eingangshalle des Palazzo Morelli zur Haustür. Mit einem lauten Knall fiel die schwere Eingangstür hinter ihm ins Schloss.
Eva Maria presste entsetzt die Hände fest auf ihren Mund und kämpfte gegen die Tränen an, die in ihr aufsteigen wollten. In seinem Blick hatte nicht der geringste Funke Liebe gesteckt. Nicht der geringste. Nur Wut und … ja … Hass …
Zutiefst verstört ließ sie die Arme sinken und strich sich unwillkürlich mit der rechten Hand über den flachen Bauch.
Das Herz, das in mir glüht,
wird zu Flammen im Rachen.
Motto des Drachen (drago)
5
Donnerstag, 2. August, zwei Wochen vor dem Palio
A ntonia wischte mit festem Druck über den Spiegel und hauchte anschließend dagegen. Dann wischte sie erneut. Energisch. Voller Wut. Als könnte der Spiegel etwas dafür.
»Scheißkerl«, zischte sie. Am meisten ärgerte sie, dass sie sich so ärgerte. Hatte sie nicht in Mario den Mann ihres Lebens gefunden? Er liebte sie, trug sie auf Händen, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, bevor sie ihn auch nur ausgesprochen hatte. Warum nur stieg dann manchmal noch diese unbändige Wut in ihr hoch?
Als sie Angelo vorhin im Flur begegnete, war ihr Herz für einen Augenblick beinahe stehen geblieben. Er hatte sich in den frühen Morgenstunden heimlich aus Marias Zimmer geschlichen, ein entrücktes Lächeln auf den Lippen und sich das Hemd in die Hose stopfend. Dabei hatte er so verdammt glücklich ausgesehen, dass es ihr einen tiefen Stich versetzte. Natürlich war ihr sofort klar gewesen, dass
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