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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen.
    Angelos Gesicht glühte rot vor Zorn. Er stürzte sich auf Fernando und hieb ihm seine Faust ins Gesicht.
    »Angelo!«, rief Maria und versuchte, ihren Verlobten von dem anderen Jockey wegzuziehen. Doch vergebens. Mittlerweile war Fernando das Lachen vergangen und er wehrte sich gegen die Angriffe, so gut er konnte. Maria blieb nichts anderes übrig, als sich selbst in Sicherheit zu bringen, bevor eine der fliegenden Fäuste ihr Ziel verfehlte und sie traf.
    »Schluss jetzt, verdammt noch mal!«
    Maria zuckte zusammen. Sie hörte ihren Vater selten schreien, und wenn, dann verfehlte er damit nicht seine Wirkung.
    Mit energischen Schritten eilte Signore Morelli auf die beiden Streithähne zu und stellte sich zwischen sie. Auch die übrigen fantini und capitani betätigten sich nun als Streitschlichter und es dauerte nicht lange, bis sie Angelo und Fernando voneinander getrennt hatten. Doch immer noch musste Angelo von drei Männern festgehalten werden, damit er sich nicht erneut auf den anderen Jockey stürzen konnte. Er tobte wie ein tollwütiger Hund.
    »Jetzt reicht es, Angelo!«, wies Filippo Morelli seinen zukünftigen Schwiegersohn zurecht. Aber der sah das offenbar anders. Denn nun wandte er sich mit wutverzerrtem Gesicht an Marias Vater und stieß ihm seinen ausgestreckten Zeigefinger so fest auf die Brust, dass der capitano unwillkürlich einen Schritt nach hinten machte.
    »Es reicht? Ja? Wer gibt denn seinem fantino die Anweisung, bei diesem beschissenen Proberennen so hart ranzugehen, hä?«
    Signore Morelli nickte. »Ja, Fernando hat ein bisschen übertrieben, aber …«
    »›Ein bisschen übertrieben‹?« Angelo spie die Worte aus. »›Ein bisschen übertrieben‹? Soll ich mir den Hals brechen oder was?« Fassungslos schüttelte er den Kopf.
    »Angelo.« Auch Maria wandte sich nun an ihren Verlobten und legte ihm besänftigend eine Hand auf den Oberarm. »Nun beruhige dich doch erst mal!«
    Als Angelo sich umdrehte und sie mit starrem Blick fixierte, wich Maria erschrocken zurück. So wütend hatte er sie noch nie angesehen.
    »›Beruhigen‹?« Unwirsch entwand er sich ihrem Griff. »Ich soll mich ›beruhigen‹?« Er lachte bitter. »Wisst ihr was … Ihr könnt mich alle mal …«
    »Angelo!«, rief Maria noch einmal flehend und streckte ihre Hand nach ihm aus. Doch ihr Verlobter schob ihren Arm rüde zur Seite, reckte Filippo und Fernando die rechte Hand mit dem ausgestrecktem Mittelfinger entgegen und marschierte mit weit ausholenden Schritten über die Terra di Siena davon.
    Nachdenklich blickte Maria ihm hinterher. Warum fiel ihr ausgerechnet jetzt der Baum im Garten ihrer Eltern ein, der mitten im August all seine Blätter verlor? Der Baum, an dem sich Eva Maria vor so vielen Jahren erhängt hatte, nachdem ihr Verlobter sie nach einem Streit mit ihrem Vater für immer verließ? Einem Streit, der mit dem Palio zusammenhing. Und auf einmal kam ihr ein furchtbarer Gedanke: Konnte es sein, dass Eva Maria ihr eine Warnung schickte? Eine Warnung aus dem Jenseits, weil ihr das gleiche Schicksal drohte, das sie damals erlitten hatte? Verlor der Baum deshalb plötzlich alle seine Blätter? Und war das Fenster im Flur des Palazzo, genau gegenüber von Eva Marias Porträt, vielleicht gar nicht nachlässig geschlossen gewesen? Hatte nicht der Wind es aufgestoßen, sondern der Geist einer unglücklichen jungen Frau, die sich vor mehr als hundert Jahren das Leben nahm?
    Mit einem Mal fror Maria. Obwohl die Sonne ungachtet der Abendstimmung ihre Strahlen immer noch hemmungslos auf die Piazza del Campo hinunterschickte und die Luft auf über dreißig Grad Celsius erwärmte.

 
    Greift zu den Waffen.
    Motto der Gans (oca)
     

     
    11
     
    Freitag, 13. August 1880, drei Tage vor dem Palio
     
    M ehrfach blickte er über die Schulter zurück. Niemand sollte ihn hier sehen. Doch die Gasse hinter ihm war nahezu gespentisch leer. Mittlerweile war es weit nach Mitternacht. Lange hatte er warten müssen. In diesen warmen Sommernächten hielten sich nicht alle an die vorgeschriebene Sperrstunde. Immer und immer wieder kamen kleine Gruppen betrunkener junger Männer an seinem Versteck vorbei und hielten ihn durch ihr bloßes Erscheinen von seinem Plan ab.
    Doch jetzt war es endlich so weit.
    Neben dem Eingang hingen links und rechts zwei Öllampen. Doch nur die linke brannte und warf ihr flackerndes Licht über die Straße.
    Das vereinbarte Zeichen.
    Er tastete nach

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