Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
dem Lederbeutel unter seinem Hemd. Nicht dass er ihn und seinen kostbaren, verräterischen Inhalt verloren hatte! Das durfte unter keinen Umständen geschehen! Aber nein, er war an Ort und Stelle. Jetzt musste er nur noch warten, bis die Kirchturmuhr zur vollen Stunde schlug.
Er verbarg sich hinter den aufgestapelten Heuballen und hielt den Blick starr auf die Tür vor sich gerichtet.
Kurz nachdem der zweite Schlag der Glocke verklungen war, öffnete sich die Tür vor ihm. Ein junger Bursche streckte vorsichtig den Kopf heraus und sah sich nach links und nach rechts um. Sein Blick verharrte für einen Moment auf den Heuballen, dann schloss er die Tür hinter sich, schlenderte barfuß über den Vorplatz und verschwand in einer dunklen Ecke.
Der Mann hinter den Heuballen zählte bis drei. Dann erhob er sich, trat aus seinem Versteck hervor und schlich auf die Tür zu, durch die der andere soeben gekommen war.
Ein leises Quietschen ertönte, als er sie öffnete. Er hielt den Atem an. Schließlich hatte er nichts weiter als ein Wort, dass der barbaresco sich an die getroffene Vereinbarung halten und lange genug verschwunden bleiben würde. Und was zählte schon ein Wort? Nichts, wenn es drauf ankam. Genauso gut konnte der Stallknecht ein heimtückisches Spiel mit ihm spielen. Und dass die gesamte Schuld auf seinen eigenen Schultern lasten würde, wenn man ihn erwischte, stand wohl außer Frage. Niemand würde sich schützend vor ihn stellen und aussagen, dass er nur im Auftrag anderer gehandelt hatte.
Deswegen öffnete er die Tür jetzt besonders vorsichtig, bereit, jeden Augenblick den Rückzug anzutreten, wenn etwas nicht so sein sollte wie verabredet.
Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. Denn die einzige Lichtquelle im Raum war eine brennende Kerze, die neben dem materasso des Stallburschen stand. Die mit Stroh gefüllte Matratze befand sich auf der linken Seite des Vorraums. Die Decke lag jetzt, nachdem die Bettstatt leer war, zusammengeknüllt am Fußende.
Hastig versuchte er, sich zu orientieren. Wer konnte schon sagen, wie lange der barbaresco brauchen würde, um seine Notdurft zu verrichten? Zumal er ja vermutlich nicht tatsächlich ein Verlangen danach spürte. Und was würde geschehen, wenn er zurückkam und ihn hier entdeckte? Würde er dann die Augen verschließen und so tun, als hätte er nichts gesehen? Darauf wollte er es lieber nicht ankommen lassen.
Sein Ziel stand hinter einem Holzverschlag, der die eigentliche Pferdebox vom Vorraum abtrennte. Die Stute sah ihm erwartungsvoll und interessiert entgegen, als er leise ihren Namen rief: »Luna.« In ihrem Blick lag nicht die geringste Spur von Misstrauen.
Ein wenig schämte er sich beinahe, als das Tier jetzt freundlich schnaubte. Hoffentlich war ihm die Dosierung gelungen. Er wollte das Pferd schließlich nicht umbringen, sondern nur ein bisschen lahmlegen. Denn ein von Durchfällen entkräftetes Pferd würde den Palio ganz sicher nicht gewinnen. Und im besten Falle wäre die contrada della pantera sogar gezwungen, ihre Teilnahme am Palio abzusagen. Darauf zumindest spekulierte sein Auftraggeber, denn das einmal zugeteilte Pferd durfte ja nicht mehr ausgetauscht werden. So bestimmten es die Regeln.
Er schnalzte mit der Zunge, während er den Lederbeutel hervorzog und öffnete.
Neugierig reckte der Fuchs mit der halbmondförmigen Blesse seine Nase über die Stallbegrenzung und schnupperte.
Das ging einfacher, als er gedacht hatte. Die Beimengung des Zuckers zu den zerkleinerten Oleanderblättern war offenbar eine gute Idee gewesen. Die Stute steckte bereits neugierig ihr Maul in den Lederbeutel.
Eilig schüttete er den Inhalt des Beutels in seine Handfläche und ließ das Pferd fressen.
Der Fuchs leckte ihm zweimal über den Handteller, dann wandte er bereits den Kopf ab. Er schien zu spüren, dass dieses Futter nicht gut für ihn war.
Das wird genügen, dachte der Mann. Er verschloss den Lederbeutel sorgfältig und steckte ihn zurück unter sein Hemd. Dann beeilte er sich, die casa del cavallo zu verlassen, bevor der barbaresco zurückkehrte.
Als er aus der Tür trat, blickte er sich einmal nach links und nach rechts um. Doch in der Dunkelheit konnte er nichts Auffälliges erkennen. Mit eiligen Schritten hastete er durch die schmale Gasse davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Und so bemerkte er auch nicht den barbaresco, der ihm mit einem unleidlichen Blick nachschaute.
Die Farbe des
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