Der dunkle Grenzbezirk
Stadt. Er war ganz und gar nicht mit sich zufrieden. Conway Carruthers, der Mann aus Stahl, schien nachzulassen. Er hatte den kapitalen Fehler begangen, einen Gegner zu unterschätzen. Schlimmer noch: er hatte den gefährlichsten seiner Gegner überhaupt nicht erkannt. War das wohl, weil sie eine Frau und schön war? Unmöglich! Hatte er nicht den Verlockungen, den weiblichen Reizen und Listen zahlloser schöner Spioninnen widerstanden? Hatten sie nicht blonde Haare und verführerische Kurven gehabt? Hatten sie sich nicht in herausfordernden Posen auf luxuriösen Diwans geräkelt? Hatten nicht ihre grünen Augen unerhörte Wollust versprochen als Gegenleistung für Geheimnisse, die nur er kannte? Und war er nicht weitergegangen auf seinem Weg, insgeheim lächelnd über ihre Wut und Verwirrung und ihre kindischen Verführungsversuche? Natürlich. Aber vielleicht war es, weil die Augen dieser Frau dunkel waren, von dunklem Braun, weil ihre Haare von glänzendem Schwarz waren und ihr Lächeln ihn irgendwo in der Magengegend traf und weil sie, wie diese Frauenkenner von Italienern sagen, unendlich simpatica war; vielleicht … aber er schlafwandelte ja, genau wie diese liebeskranken jungen Engländer, die ihm im zwölften Kapitel immer in seine Pläne hineinzupfuschen pflegten, indem sie die Helden spielten und ihre verängstigten Bräute aus eingebildeten Gefahren retteten. Schluß mit dem Unfug! Von jetzt an würde Carruthers’ überlegener Geist das Unternehmen leiten.
Kurz vor Basel geschah etwas, das Carruthers zu diesem Zeitpunkt völlig unwesentlich schien, das ihm aber später wieder in den Sinn kommen sollte.
Da Groom auf das Nachtessen verzichtete, nahm Carruthers die erste Hälfte seines Mahles schweigend ein. Ihm gegenüber saß ein ziemlich ungepflegter magerer jüngerer Mann, der sich mit dem Kellner in fließendem Französisch mit starkem amerikanischem Akzent unterhielt.
Nichts beschleunigt eine zufällige Reisebekanntschaft mehr als ein französischer Speisewagen. Es ist schwierig, reserviert zu sein, wenn Suppe und Wein über den Tisch spritzen und die Leute miteinander bekannt machen.
»Ich habe mir sagen lassen«, bemerkte der Amerikaner und wischte sich mit der Serviette verärgert den Rockärmel ab, »daß es nichts Unbequemeres gibt als die französische Eisenbahn.«
»Das stimmt. Es ist eine von der Büchsensuppenindustrie organisierte Verschwörung.«
Eine Weile diskutierten sie lebhaft das ungenießbare Essen in einem Speisewagen. Der Amerikaner war trotz seiner Jugend offensichtlich ein weitgereister Mann. Die Konversation wandte sich Städten zu. Carruthers packte die Gelegenheit, zu einer Information zu kommen, beim Schopf und begann vom Balkan zu reden.
Belgrad wurde erwähnt. Zum Schluß fragte er beiläufig: »Waren Sie schon in Zovgorod?«
Der Amerikaner sah ihm eine Sekunde lang in die Augen, bevor er mit einem kurzen Nein antwortete. An einer Fortsetzung des Gespräches schien ihm plötzlich nichts mehr zu liegen, er rief den Kellner, zahlte, nickte Carruthers zu, stand auf und verließ den Speisewagen.
Als der Zug sich Basel näherte, erteilte Groom die ersten Instruktionen.
Sie hatten ein paar Stunden Aufenthalt, bevor der Zug, an den ihr Wagen angehängt werden würde, nach Bukarest abfuhr. Er, Groom, würde ins Büro der Basler Filiale von Cator & Bliss Limited in der Badenstraße gehen und dort ein Schreiben aufsetzen, mit den Einzelheiten des Angebotes, das die Firma dem Herrn Professor gemacht hatte. Er würde es unterzeichnen und dem Professor übergeben, bis ein offizieller Vertrag dieses Dokument überflüssig machen würde. Carruthers bedankte sich pflichtschuldigst.
Der Professor sollte sich unterdessen die Sachen kaufen, die er benötigte, also Kleider und Toilettensachen, und nicht zu vergessen eine Kamera. Sie würden einander im Zug wieder treffen. Für den Fall, daß er Geld brauche, seien hier 5000 Franken, ein Vorschuß auf das Honorar.
Carruthers zögerte einen Moment, bevor er das Geld annahm, aber dann sagte er sich, daß seine Handlungsfähigkeit eventuell durch Geldmangel eingeschränkt werden könnte, und so akzeptierte er es mit Dank.
Sie trennten sich am Bahnhofplatz. Groom verschwand in einem Taxi, Carruthers ging in die Stadt und suchte ein Geschäft, das noch offen hatte.
Das war gar nicht so einfach. Von ein paar Restaurants abgesehen, war Basel still und dunkel. Carruthers hielt ein vorbeifahrendes Taxi an und fragte den Chauffeur
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