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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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der Gräfin angeschaut. Dort hineinzukommen ist überhaupt kein Problem. Wenn man auf dem großen Platz steht und nur die Fassade sieht, kriegt man einen ganz falschen Eindruck. Das Grundstück ist ziemlich ausgedehnt und reicht bis an den Fluß, wo es einen alten Steinkai hat. Ich nehme an, das war einst der Weg zum und vom Palast, der einen ähnlichen Kai hat. Wir können also den Fluß als Zugang benutzen.«
    »Aber der Fluß ist ja nicht schiffbar.«
    »Ich weiß, aber man kommt auch vom Land her auf den Kai. Es führt nämlich vom Platz eine Passage zu ihm hin. Wenn wir einmal auf dem Kai sind, ist der Rest ein Kinderspiel.«
    »Und die Wachen?«
    »Hinten auf dem Grundstück habe ich zwei gesehen, und sicher steht noch eine vor dem Haus. Aber es wachsen überall Sträucher und Bäume, da kommen wir leicht unbemerkt durch. Die einzige Schwierigkeit ist der Posten auf dem Kai.«
    »Wie sind Sie denn durch den Garten gekommen, wenn auf dem Kai eine Wache steht?«
    »Als ich dort war, stand dort niemand Wache. Aber ich nehme an, daß sie nachts dort einen Mann postieren werden. Es gibt dort einen Ofen und eine Art Unterstand.«
    »Sehr schön. Aber wie wollen wir denn mit Grooms Gangstern fertigwerden?«
    »Wir wissen doch ungefähr, wann sie kommen. Fällt Ihnen da nichts ein?«
    »Nein.«
    »Dann hören Sie mal gut zu.«
    Er lehnte sich nach vorn und redete gut zehn Minuten auf mich ein. Als er fertig war, fühlte ich mich so mies wie noch nie zuvor in meinem Leben. Meine Achtung für Carruthers sank auf Null.
    »Und Sie glauben wirklich, daß wir mit so einem verrückten Plan Erfolg haben könnten?« fragte ich ihn ziemlich erbittert.
    »Warum nicht?« Er schien ehrlich erstaunt zu sein.
    Der Mann war ein Phantast. Ich faßte einen endgültigen Entschluß.
    »Es tut mir leid, Carruthers, aber ich kann da wirklich nicht mitmachen. Ich habe ja nichts gegen Risiken, aber in Ihrem Plan gibt es ja gar keine Risiken. Ihr Plan ist eine Freikarte für das Zuchthaus von Zovgorod, und ich habe mir sagen lassen, daß man dort mit Häftlingen nicht gerade sanft umgeht.«
    Er lächelte. »Wie Sie meinen. Dann gehe ich halt allein.«
    Ich war plötzlich böse auf ihn. Er mußte doch einsehen, daß sein Plan total verrückt war. Ich äußerte alle meine Einwände, und es waren nicht wenige, ich redete fast eine Stunde auf ihn ein. Es machte keinen Eindruck auf ihn. Ich sank in meinen Stuhl zurück und bestellte noch ein Bier. Er grinste mich an. Ich gab es auf.
    »Also meinetwegen«, sagte ich verzweifelt, »wann soll es losgehen?«
    Das war mir so rausgerutscht. Unwillkürlich hatte sich mein Widerstand in Einwilligung verwandelt. Ich protestierte nicht mehr. Theodore Roosevelt hätte sicher auch nicht anders gehandelt. Dieser Carruthers hatte eine Art, einen denken und handeln zu lassen, als sei man eine Figur aus einem Dreigroschenroman.
     
    Die folgenden Stunden waren die unangenehmsten, die ich je erlebt habe. Etwas Entsprechendes habe ich nur 1922 durchgemacht, vor dem Spiel Yale-Harvard, als ich mich fragte, ob mein Knöchel die Sache wohl aushalten würde.
    Um Mitternacht wollten wir aufbrechen. Wenn Groom Nikolai um zwei Uhr im Hotel Europa erwartete, so hieß das, daß die Aktionen der Gangster kurz nach eins anfangen würden. Nach Carruthers Plan mußten wir schon dort sein, wenn sie kamen.
    Zuerst galt es aber immer mal wieder Carruthers »Leibwächter« loszuwerden. Wir aßen zu abend und saßen bis halb zwölf Uhr in einem Café. Dann gingen wir spazieren, bis wir zu einem einsamen Seitengäßchen kamen. Während wir die Straße entlang schlenderten, sahen wir zu unserer Zufriedenheit, wie der gräfliche Agent in lässiger Haltung, als gingen wir ihn überhaupt nichts an, ebenfalls in das Seitengäßchen einbog. An der Ecke blieben wir stehen.
    »Mir scheint, es ist ein anderer«, bemerkte Carruthers, »da kann ich ja den Trick mit dem Taxi noch einmal machen.«
    Er bat mich, ihn in zwanzig Minuten vor der Post zu treffen, nahm meine Hand, schüttelte sie kräftig und wünschte mir mit lauter Stimme »Gute Nacht«. »Gute Nacht« sagte ich, und er ging zu einem Taxi. Sein Beschatter eilte ihm nach, und ich kehrte zur Post zurück. Nach einer Viertelstunde erschien Carruthers mit der erfreulichen Nachricht, daß sein »Leibwächter« hinter einem leeren Taxi her in Richtung Bordellviertel fahre.
    Wir nahmen ein Taxi und fuhren zum Königspalast. Von dort gingen wir zu dem Platz, wo das Haus der Gräfin stand. Es

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