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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Choleraepidemie von 1907 praktisch unbewohnt sei. Bald waren wir aus der Stadt heraus, und die schwarzen Hügel des Kudertales schlossen sich um uns.
    Es goß wie mit Kübeln, und über den Hügeln in der Ferne sah ich Blitze zucken. Die Straße war mit Löchern übersät, und der Regen hatte den Staub, der zwischen dem Schotter lag, in gefährlichen Schlamm verwandelt. Der Buick rutschte und holperte mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 40 km dahin. Ich hatte den Eindruck, als wären es 140. Wir konnten ganz einfach nicht schneller fahren, und auch so landeten wir zweimal im Straßengraben. Es war ganz der passende Auftakt für eine Nacht, in der mir das Herz nur dann nicht im Halse klopfte, wenn es mir in die Hose gefallen war.
    Es ist ziemlich sinnlos, darüber nachzudenken, was geschehen wäre »wenn«, und doch habe ich mir oft überlegt, wie die Ereignisse dieser Nacht sich wohl abgespielt hätten, wenn der Zufall es anders gewollt hätte. Und ich komme dann immer wieder zu demselben Schluß: Hätten wir nicht ganz so unverschämtes Glück gehabt, dann wäre ich jetzt tot wie Plek, Marassin und der rotäugige Offizier. Denn wir gingen alle um Haaresbreite am Tod vorbei. Über eins bin ich mir aber im Laufe der Zeit ganz klar geworden, nämlich über Kassens Tod. Wie immer auch das Ende dieses brillanten Mannes war, für Carruthers war meiner Ansicht nach sein Tod von Anfang an eine beschlossene Sache. Mir gegenüber hatte er zwar erwähnt, er habe mit Kassen »andere Pläne«, aber das war eine taktvolle Täuschung. Er war auf meine Hilfe angewiesen und konnte es sich nicht leisten, daß ihm meine Zimperlichkeit in die Quere kam. Er hatte ja auch Tumachin erklärt, daß Kassens Geheimnis selbst an einem unzugänglichen Ort für die Menschheit eine Gefahr bilde, und er war sich ganz bestimmt darüber im klaren, daß nur der Tod des Erfinders diese Gefahr wirklich abwenden konnte. Vielleicht drehten sich die Gedanken in diesem wunderlichen Agglomerat seines Gehirns um die beste Methode, Kassen aus der Welt zu schaffen, während der Buick das Kudertal hinauf zum Laboratorium fuhr. Ich sah sein Gesicht auf dieser Fahrt nur einmal, im Licht eines Streichholzes, als er sich eine Pfeife ansteckte. Es war ruhig und nachdenklich. So sah wohl der echte Professor Barstow aus, wenn er ein mathematisches Problem studierte. Carruthers Persönlichkeit schien immer einige Nummern zu groß für seinen Körper.
    Wir waren etwa 20 Minuten auf der Straße das Tal hinaufgefahren, als Carruthers sich vorbeugte und dem Fahrer befahl, anzuhalten und die Lichter auszumachen. Beker stieg mit uns aus, sagte dem Fahrer, er solle noch etwa einen halben Kilometer fahren und dann auf uns warten, und dann marschierten wir los.
    Am Horizont blitzte es noch immer, doch der Regen hatte nachgelassen. Da es nicht möglich war, im Dunkeln den Schlaglöchern auszuweichen, wateten wir bis zu den Knöcheln im Schlamm. Fünf Minuten lang quälten wir uns noch durch den Morast auf der Straße, dann wandte sich Carruthers nach rechts, und der Weg stieg an. Ich vermutete, daß wir nun auf dem Weg zum Steinbruch waren. Der Boden war hier fester, da das Wasser auf beiden Seiten der Straße in Gräben abfloß. Die Steigung betrug etwa zehn Prozent, und wir stiegen etwa eine halbe Meile bergan, ehe Carruthers uns befahl, ganz leise und im Gänsemarsch zu gehen. Wir kamen schnell voran. Als der Steinbruch in Sicht kam, blieb Carruthers stehen, befahl uns im Flüsterton, uns nicht zu rühren, und verschwand in der Dunkelheit. Ich konnte gerade noch erkennen, daß nun vor uns ein enger Steinpfad lag. Wenig später erschien Carruthers wieder und berichtete, daß 15 Meter weiter vorn ein Mann in einem Wagen sitze.
    Wir hielten Kriegsrat, das heißt, Carruthers sagte uns, was wir machen sollten. Eine Minute später verließ ich mit Beker den Pfad, wir schlitterten links einen Abhang hinunter, durchquerten ein Stück Sumpf und kämpften uns dann durch Unterholz. Hierauf ging’s fast senkrecht aufwärts. Ich glitt zweimal aus, und Beker zerschrammte sich ein Knie an einem Felsen, aber zum Glück wuchsen hier Bäume, und so konnten wir uns von Baum zu Baum emporziehen. Endlich kamen wir oben an und standen nun auf dem Weg, der oberhalb des Steinbruchs vorbeiführte. Ohne unsere Schritte zu dämpfen, gingen wir nun wieder abwärts in Richtung des Wagens. Nach etwa 50 Metern sahen wir ihn, eine große Limousine ohne Lichter. Die Tür des Fahrersitzes öffnete sich

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