Der dunkle Herzog
lassen. Ian hatte sich beschützend zu ihnen gesellt. Eleanor konnte es nicht länger abwarten. Sie entschuldigte sich und hatte nur noch den Wunsch, Hart zu finden und nach Hause zu fahren.
Sie nahm ihren kleinen Koffer und begann, den Bahnsteig entlangzugehen, wobei sie die Gepäckträger und Diener des Dukes ignorierte, die schockiert aussahen, weil sie ihren Koffer tatsächlich selbst trug. Sie erspähte Macs hohe Gestalt in der Menschenmenge im Hauptgebäude des Bahnhofes, Aimee thronte auf seinen Schultern, Isabella stand neben ihm. Keine Babys, sie mussten sie in der Obhut von Nanny Westlock daheimgelassen haben. Aimee hatte sicher darauf beharrt, mitkommen zu dürfen.
Aber kein Hart. Eleanor versuchte, ihr Herz nicht schwer werden zu lassen. Ihr Mann hatte jetzt viele Dinge zu erledigen, und irgendein Problem hatte ihn vermutlich daran gehindert, Whitehall zu verlassen. Vermutlich war Mac an seiner statt zum Bahnhof gekommen.
Eleanor winkte über die Bahnsteige und Menschen hinweg Isabella zu, und Isabella und Aimee winkten zurück. Sie ging rasch weiter und bahnte sich ihren Weg zum Hauptperron. Sie meinte, fast schon Isabellas Umarmung und Kuss spüren zu können und Macs breites Lächeln zu sehen und seinen dröhnenden Bariton zu hören, wenn er sie begrüßte.
Wie herrlich, Teil solch einer Familie zu sein – einer großen, unberechenbaren Familie mit ihrem Mann als deren Oberhaupt. Leichten Schrittes ging Eleanor schneller.
Als Eleanor Mac und seine Schar fast erreicht hatte, sah sie am anderen Ende des Bahnsteigs die unverwechselbare Gestalt Harts auftauchen. Der hoch aufgeschossene David Fleming begleitete ihn, und die beiden diskutierten wie gewöhnlich über etwas. Die ehemaligen Faustkämpfer und jetzigen Leibwächter Harts folgten ihnen.
Eleanor widerstand dem Drang, zu Hart zu laufen, und blieb stehen, um zunächst Isabella und Mac zu umarmen.
»Dort ist Ian«, sagte Mac und schaute den Bahnsteig entlang. Er beschattete die Augen. »Was macht er denn da?«
Ian stand zwei Perrons weiter an der Kante des Bahnsteigs, an dem der Zug stand, mit dem sie gereist waren. Sein Blick war auf etwas in der Nähe des Wartesaals gerichtet, aber Eleanor, die jetzt auch in seine Richtung schaute, konnte nicht erkennen, was sein Interesse erregt hatte.
Ihr Blick glitt zurück zu Hart, und Isabella lachte. »Nun geh schon. Er braucht jemanden, der froh ist, ihn zu sehen.«
Mac nahm Eleanor den Koffer ab, und sie dankte ihm und begann, sich durch die Menge zu Hart vorzukämpfen. So viele Menschen, so viele Hauben und hohe Hüte, so viele Tournüren und zusammengeklappte Sonnen- und Regenschirme, zwischen denen sie sich ihren Weg suchen musste. Mussten denn all diese Leute ausgerechnet heute hier sein?
Hart überragte die Menge, Fleming ging jetzt einige Schritte hinter ihm. Über die Distanz zwischen ihnen hinweg trafen sich Harts und Eleanors Blicke. Sie fühlte sich glücklich.
Sie sah, dass Hart stehenblieb und sich umwandte, die Stirn runzelte, dann die Hände um den Mund legte und Ians Namen rief. Eleanor schaute sich um. Ian sprang vom Bahnsteig hinunter auf die Gleise, lief weiter, kletterte hoch auf den nächsten Bahnsteig, überquerte diesen und sprang erneut auf die Gleise, ungeachtet der riesigen Lokomotive, die jetzt in den Bahnhof einfuhr.
Beth sah es und schrie. Hart rief wieder Ians Namen. Ian sprang in der allerletzten Sekunde von den Schienen hinauf auf den Bahnsteig, sein Kilt flatterte, als er auf Hart zurannte.
Ein lauter Knall erscholl zu Eleanors Linken, wurde fast geschluckt von dem lauten Zischen der Dampfausstöße des einfahrenden Zuges. Eleanor wandte den Kopf, hörte ein Wumm!, dann sah sie, wie sich eine riesige Wolke aus Rauch, Steinen und Glas erhob und ausbreitete und den ganzen Bahnsteig mitsamt den Menschen unter sich begrub.
Eleanor spürte, dass sie durch die Luft geschleudert wurde. Sie prallte gegen einen Mann in einem langen Wollmantel und dann auf den Bahnsteig. Sie rutschte über den Boden auf die Kante zu, das eiserne Gesicht der Lokomotive kam auf sie zugerollt. Sie hörte das fürchterliche Fauchen von heißem Dampf und das Kreischen von Metall, als der Zug zu halten versuchte.
19
Im allerletzten Augenblick gelang es Eleanor, ihren Sturz über die Bahnsteigkante abzufangen. Die Lokomotive glitt vorbei, Eleanor lag auf dem Bauch und versuchte, Luft zu bekommen.
Sie hörte Schreie und roch Rauch, sah, dass Steinsplitter und Glasscherben auf die Menschen
Weitere Kostenlose Bücher