Der dunkle Kuss der Sterne
Eltern mir von Kindheit an eingebläut hatten.
»Gute Lektion.«
»Tja, aber jetzt weiß ich immer noch nicht, was mit deinem Amad passiert ist.«
»Er ist nicht mein Amad! Er …« Ich verstummte.
Juniper zog die Brauen hoch. »Getrennte Wege, hm? Tja, auch Eisen und Stein können brechen.«
Es war beruhigend, dass Juniper nicht alles erschließen konnte. »Nein, sie brechen nicht. Es war keine Lüge, als ich dir sagte, dass ich jemanden liebe. Mehr als mein Leben, bis zu unserem Tod. Aber es ist nicht Amad, er sollte mir nur bei der Suche helfen. Der Mann, den ich finden muss, heißt Tian, er muss hier in der Stadt sein, vielleicht wurde er als Sklave verschleppt. Er hat Bronzehaut und Haar wie Kupfer. Hier, das hat er mir in den Bergen als Zeichen dagelassen, bevor wir zu euch kamen.« Ich öffnete die Faust und hielt ihr die drei Zweige hin. Vom größten Zweig hatte sich Tians Kupferlocke unter der Drahtfixierung halb gelöst und wand sich im Wind.
Juniper sprang zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten.
»Canda!«, kreischte sie entsetzt auf. Ihre Harpune klapperte gegen die Hauswand. Juniper packte meine Hand so grob, dass ich aufschrie. Mit einer Drehung zwang sie mich, die Zweige auf das Fensterbrett fallen zu lassen. »Was soll das?«, rief ich. Aber es wurde noch schlimmer: Ein Feuerzeug schnappte blitzschnell auf, dann erhellte eine Stichflamme Junipers Gesicht. Tians Zeichen krümmten sich in ihren Drahtfesseln, Funken knisterten, Rauch stieg auf, der nach verbranntem Haar stank. »Warum hast du das gemacht!«, stieß ich hervor. »Das gehört mir!«
Ein Windstoß fauchte über Stege und Dächer und verging, als hätte jemand eine Flamme ausgepustet. Von einer Sekunde auf die andere war es windstill und leise wie in einer Totenkammer. Juniper war so weiß wie der Mond. Und sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, als hätte ich mich in ein Ungeheuer verwandelt. Sie packte mich am Kragen und drückte mich grob gegen die Wand, knochige Fäuste bohrten sich schmerzhaft hart in meinen Hals. »Was wolltest du damit machen? Den Tod verkaufen?«
Mein entgeistertes Gesicht sprach wohl Bände. Jetzt klappte ihr der Mund auf. »Du weißt es nicht?«, rief sie aus. Sie ließ mich los und stieß mich zur Seite.
»Du spielst mit Magie herum und hast keine Ahnung, dass du den Tod in den Händen hältst? Die ganze Stadt könntest du damit dem Erdboden gleichmachen!«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr. »Mit Tians Haar?«
»Womit denn sonst?« Junipers Stimme überschlug sich. »In den Geisterbergen, in denen ihr herumgeklettert seid, gehören Haar und Wind zusammen wie hier Wasser und Fische. Was glaubst du, weshalb Wüstenfrauen nur kurze Haare tragen oder es ganz scheren! Langes Haar, das im Wind davongetragen wird und sich in Zweigen der Geisterberge verfängt, ist das einzige Seil, das eine Windsbraut fesseln kann. Sie verfängt sich im Haar und wird immer wütender. Solange das Haar festhängt, ist alles gut, aber wenn es sich wieder vom Zweig löst, dann gute Nacht. Ihr habt es ja erlebt. Und jetzt schleppst du dieses Dämonenzeug in die Stadt? Wo ein Sturm eine ganze Flotte vernichten kann? Darauf steht die Todesstrafe – und du kannst mir glauben, dass es kein angenehmer Tod ist.« Ich lachte schon längst nicht mehr über Aberglauben, aber jetzt wurde mir vor Entsetzen so kalt, dass ich zitterte. Plötzlich wusste ich, woher der Wind gekommen war – das kleine Stück Locke hatte gereicht, um ihn zu entfesseln. Und ich war es, die das Haar in den Bergen ganz vom Zweig gestreift hat. Im Geiste sah ich mein armes Pferd in die Schlucht stürzen, spürte den Sturm, der uns in die Tiefe fegen wollte. Es war meine Schuld gewesen, dass wir die Tiere und fast unser Leben verloren hatten. Und die Zweige waren keine Wegzeichen, sondern Fallen , schoss es mir durch den Kopf. Jemand wollte uns damit töten.
Juniper musterte mich misstrauisch. »Du wolltest die Windfänger wirklich nicht verkaufen – an jemanden, der die Flotte seines Konkurrenten auf hoher See mattsetzen will? Oder an die Kriegstreiber, die im Menschenhafen Geschäfte für die Lords der anderen Länder machen?«
»Juniper, ich bin es! Ich will nur Tian finden! Ich hatte keine Ahnung …«
» … und deshalb fixierst du die Haare mit Draht am Windfänger. Klar.«
»Das war … jemand anderes, ich habe ihm die Zweige gestohlen.«
Sie schien immer noch mit sich zu kämpfen. Ihre Harpune lag locker in ihrer Hand,
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