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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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aus ganzem Herzen zu. Dieser Wein war schwer und süß wie Honig. Ich schloss die Augen und spürte darin dem Aroma von Tians Mitternachtswein nach. Dann ließ ich mit klopfendem Herzen den Blick über die tanzende Menge schweifen. Der Tanz war Wildheit und Willkür, sprühend, aber ohne Perfektion und Form. Und plötzlich blühte etwas in mir auf – etwas Weiches, Wehmütiges. Weißt du noch?, flüsterte die Stimme des ängstlichen blonden Jungen sanft. Zabina und Anib? Ihr wart wie Schwestern. Es schien hundert Jahre her zu sein, dass ich die besten Tänzerinnen Ghans bewundert hatte, elegant und so perfekt, dass niemand in meiner Stadt einen Sinn darin sah, selbst zu tanzen und sich vor ihnen zu blamieren.
    »Komm!« Juniper fasste mich einfach an der Hand und zog mich mitten in die Menge. Die Graue bellte auf, der Perlmuttbecher rollte über den Boden, dann wurde ich zwischen Seide und Leinenstoff, fliegendem Haar und fremdem Atem herumgestoßen. Juniper legte mir die Arme um die Taille, drückte sich gegen meinen Rücken. Ich spürte die schlangengleichen Bewegungen. Vergeblich versuchte ich mich loszumachen. »Juniper, ich kann nicht tanzen!«, schrie ich gegen die Musik an.
    »Klar, rechnen kannst du ja auch nicht! Komm schon, nur einen Tanz, für mich! Vielleicht ist es das letzte Mal in meinem Leben.«
    Ich wollte protestieren, aber plötzlich fühlte ich sie nicht mehr, weil ich mich im selben Takt bewegte. Ich tanzte wohl – ohne dass ich es wollte. Juniper ließ mich los und wie menschliches Strandgut in einem Meer aus Körpern wurde ich davongetragen, allein und haltlos. Aber seltsamerweise machte es mir heute keine Angst. Ich war allein inmitten der Tanzenden – und trotzdem nicht einsam. Und ich weiß nicht, warum, aber ausgerechnet jetzt musste ich an Amad denken. Ich kam aus dem Takt. Irgendwo schrien Menschen meinen Namen und ich erstarrte, erschrocken darüber, dass mich jemand hier kannte. Aber es waren nur meine verrückten Stimmen. Ich presste die Hände auf die Ohren, aber das Flüstern und Rufen war so durcheinander, dass ich nur Fetzen verstand. Ganz nah! … Hier!
    Und dann spürte ich es auch. Ein Zittern in meiner Brust, kalt und heiß zugleich, ein Sog, eine Spur, unwiderstehlich und so stark, dass meine Beine ihr ganz von selbst folgten wie ein Schlafwandler dem Traum. Tian war hier – so nah, dass ich ihn fast schon sah!
    Die Spur zog mich zu einem überdachten Durchgang zwischen zwei Häusern und von dort aus zu dem winzigen versteckten Marktplatz, über den ich heute schon einmal gelaufen war. In der Mitte ragte die verwitterte Brunnenskulptur auf – ein springender Fisch, der Wasser spuckte. Menschen umstanden den Brunnen in einer Traube. Mit offenen Mündern, verzückt wie Verliebte, starrten sie alle in eine Richtung. Niemand beachtete mich, niemand stieß mich fort, weil ich mich vorbeidrängte, bis ich an den Brunnenrand stieß.
    Tian! , wollte ich schreien. Aber dann schwieg ich und stand nur da.
    Er war es nicht.
    Es war sie . Amads Geliebte.
    Sie stand mit dem Rücken zu mir, aber ich hätte sie unter Tausenden erkannt. Sie trug ein viel zu schlichtes rostrotes Reisekleid, doch obwohl der Stoff schon zerschlissen war, ließ das Kleid ihre Schönheit umso greller wirken. Weiße Haut leuchtete wie die Sonne durch Herbstblätter und ihr Haar wallte wie ein Wasserfall. Barfuß wiegte sie sich ohne Musik, nur im Takt des Klatschens, in einem langsamen Tanz. Offenbar war ich nicht die Einzige, die Geld brauchte: Münzen fielen wie Sternschnuppen in den Brunnen, sanken in das knietiefe Wasser, in dem sie tanzte, glänzten unter ihren schlanken Füßen und schienen doch nur dafür da zu sein, ihren Glanz zurückzuwerfen. Ein Händler zog sich einen Goldring vom Finger und warf ihn ihr zu. Sie fing ihn auf, ohne dem Schenker mehr als ein kurzes Nicken zu gönnen. Es war ein Wiedererkennen mit jeder Faser meines Seins: die Anmut, die Neigung des Halses, die Bewegung der Arme, sogar die Art, wie ihr langes Haar auf ihrem Rücken und ihren Schultern tanzte. Es war, als würde ich mich von hinten in einem Spiegel betrachten, in dem ich anders aussah – und doch dieselbe war.
    Das gehört mir! , wollte ich schreien, aber kein Ton kam über meine Lippen.
    Das gehörte dir , korrigierte mich meine nüchterne, gnadenlose Stimme. Und niemals wieder wirst du solche Schönheit und Anmut besitzen – und auch nicht den Glanz, der jeden Raum erstrahlen lässt und alle Herzen gewinnt. Fort

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