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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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wieder durch meine Hand gleiten, aber erst als ich bei den Schiffen ankam, hatte ich Gewissheit: Tian war niemals in diesem Hafen gewesen. Und niemand hatte ihn gesehen. »Komm morgen früh noch einmal auf den Markt«, riet mir eine Händlerin. »Der nächste Transport mit den Schiffen läuft erst morgen nach Sonnenaufgang aus. Vorher kommt noch eine neue Ladung mit dem nächsten Zug. Vielleicht findest du bei dieser Lieferung, was du suchst.«
    *
    Ich suchte zwischen den Baracken am Perlhafen, wo sich leere Muschelschalen aufhäuften, und am Fanghafen, wo Fischer Netze flickten und magere Katzen über sonnenheiße Wellblechdächer flitzten, um Heringe von den Trockenleinen zu stehlen. Und auch im Handelshafen ließ mich jeder Schimmer von Bronzehaut und jede Frau mit blondem Haar zusammenzucken und mein Herz rasen. Aber egal, wie oft ich den glattesten der drei Zweige in der Hand drehte, die Spur, die in manchen Straßen so deutlich war, dass ich Tian schon zu sehen glaubte, führte ins Leere. Erst nach Stunden, als die Graue nur noch hechelnd und erschöpft hinter mir hertrottete, hielt ich inne, frierend, enttäuscht und wütend. Die Nacht brach an und schon seit einiger Zeit windete es immer stärker. Der Wind fegte Wasser über die Stege. Boote kehrten zurück, um dem Unwetter zu entfliehen, das jeden Augenblick losbrechen konnte. Eine Glocke schlug an, die Menschen begannen fluchtartig die Stege und Brücken zu verlassen. Und als ein Mann mich von einem Fenster aus anschnauzte, was ich immer noch auf der Straße zu suchen hatte, begriff ich, dass ich die Sperrstunde schon verpasst hatte.
    Knoblauchgetränkte Luft schlug mir entgegen, als ich mich ein wenig später in ein Wirtshaus flüchtete. Ausgestopfte Haiköpfe mit Glasaugen zierten die Wand. Darunter spielte eine Gruppe von Männern konzentriert und mürrisch Karten. Arm waren sie nicht. Ihre Kleidung war edel und von ausländischem Schnitt, Münzen und zerknitterte Geldscheine türmten sich vor ihnen. Nun, Geld würde ich brauchen, der Proviant war aufgebraucht und ich würde meinen Schlafplatz bezahlen müssen. Vielleicht eine Chance? , dachte ich. Wer spielt, der wettet auch.
    »Was willst du?«, fragte die Wirtin. »Eine Unterkunft habe ich nicht mehr frei. Die Händler aus Grauland haben das ganze Haus gemietet.« Ihre Augen waren freundlich, aber sie versuchte nervös abzuschätzen, was Hund und Waffe zu bedeuten hatten.
    »Ich will nur eine Suppe essen.«
    Ihr Ton wurde sofort harscher. »Aha, auf der Flucht vor der Nachtpatrouille.« Sie hielt mir die Hand hin. »Ein Tibraner, dann kannst du eine Weile hier sitzen, zumindest, bis der Sturm vorbei ist. Gezahlt wird im Voraus.«
    »Du bekommst dein Geld schon«, sagte ich mit fester Stimme. »Nachdem ich gegessen habe.«
    Die Frau schüttelte mit einer Grimasse des Mitleids den Kopf. »Kein Geld, kein Sitzplatz, keine Suppe.«
    Ich zögerte. Die Fenster klapperten im Wind, Sprühwasser wurde gegen die Scheiben geweht.
    »Wird’s bald?«, fragte die Frau. Sie wischte sich genervt die Hände an der Schürze ab. Mir fiel auf, dass ihren Unterarm eine verblasste grüne Welle schmückte.
    Eine Tätowierung. Es war nur eine Idee im Hinterkopf. Das Blau der Traumdeuter? Es hat dir schon einmal geholfen.
    »Gehst du immer so mit Manoas Leuten um?« Ich zog die Hand hervor und zeigte ihr den blauen Stich auf meiner Handfläche. »Sie hat mich hergeschickt. Und jeder weiß, dass sie ihre Rechnungen bezahlt, nicht wahr?«
    Ich hatte richtig vermutet: Das Zeichen und der Name der Alten verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Wirtin schnaubte, aber sie knickte sofort ein. »Na schön«, sagte sie betont mürrisch. »Aber den Hund musst du hinter dem Haus anbinden und die Waffen lässt du unter dem Tisch. Sonst kannst du gleich wieder gehen.«
    Wenig später saß ich am Spieltisch der Männer und löffelte einen fettigen Sud mit weißen, weichen Fleischbrocken, die nach Zitronen, beißender Schärfe und Salz schmeckten. Ein paar Fleischstücke und die Brotkanten steckte ich für die Graue ein. Verstohlen schielte ich nach rechts. Ich kannte das Kartenspiel nicht. Aber meine Gabe für Mathematik erwachte wie ein Hund, der nur darauf gewartet hatte, dass ich ihn rief. Sechsundachtzig Einzelkarten. Jede Karte hat eine Dicke von null Komma sechs Millimetern . Ich wartete, bis die Wirtin in das Nebenzimmer gegangen war, in dem gelärmt und gelacht wurde, dann rückte ich zu den Männern hinüber und lächelte ihnen zu.

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