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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Nacht mit dir durchbrennen und kann nicht hoch erhobenen Hauptes durch das Stadttor gehen?
    »Wenn es für deine Kallas Liebe ist, dich verletzt zurückzulassen, dann will ich lieber nicht wissen, wie sie mit ihren Feinden umgeht. Also, zum letzten Mal: Was genau habt ihr in dieser Nacht getan?«
    »Und wenn du mich tötest, du wirst es nicht erfahren.«
    »Die Méganes werden es erfahren, verlass dich darauf. Wenn nicht von dir, dann von ihr. Oder glaubst du im Ernst, deine Liebste entkommt ihnen? Die Garde ist draußen und hat schon ihre Spur aufgenommen.«
    Ich hatte offenbar viel bei Juniper und Amad gelernt, denn Tian glaubte mir und holte krampfhaft tief Luft, aber es war ein vergeblicher Versuch, die Fassung zu bewahren. Sein Blick irrte zum Fenster. Feiner Eisregen prasselte gegen die Scheibe. Amad stand mitten auf der Anhöhe mit dem Rücken zu uns. Sein linker Arm war ausgestreckt, jetzt senkte er ihn. Der Schatten eines Raubvogels umkreiste ihn, der graue Falke schraubte sich höher und flog davon. Jäger finden einander , dachte ich.
    »Bitte, Canda«, stieß Tian hervor. »Es war meine Schuld, nur meine! Und ich werde für alles büßen, auch für das, was ich dir angetan habe. Aber lass Kallas gehen!«
    Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, Tränen standen in seinen Augen. Wie viel Angst er um sie hat , dachte ich erschüttert. Trotz allem.
    Eine letzte, jähe Zärtlichkeit für ihn flammte in mir auf. Zum ersten Mal sah ich ihn nicht als den Labranako-Prinzen, für den ich ihn gehalten hatte. Es war traurig genug, dass ich die Melodie seines Herzens erst jetzt wahrnahm: Vor mir kauerte ein junger Mann, der sein ganzes Leben lang unglücklich gewesen war. Ein Junge, der liebte, der weich war und unstet wie das Feuer, das aufloderte, wenn ihn etwas begeisterte, und der ohne nachzudenken einem Abenteuer folgte, das ihn lockte. Ein Junge, der mit einem Lächeln log, aber nicht aus Bosheit, sondern aus Sehnsucht und Verzweiflung.
    Und du, Canda?, dachte ich. Wonach sehnst du dich wirklich? Nach Bronze und Gold? Oder nach Jagdfeuern? Ja, Tian ist feige, aber was bist du? Schäbig genug, um mit seiner Angst zu spielen und ihn mit Lügen zu erpressen. Und ja, ich wusste, wie es war, ohne Gabe zu tanzen und zu singen – und jemanden zu küssen, der einen anderen Bund geschlossen hatte.
    »Sie konnte fliehen«, sagte ich. »Keine Sorge. Die Garde wird sie nicht bekommen.«
    Ich hatte alles erwartet, nur nicht, dass Tian vor Erleichterung in Tränen ausbrechen würde. So kannte ich ihn nicht.
    »Wie kannst du immer noch um sie fürchten?«, fragte ich leise. »Sie hat dich im Stich gelassen!«
    Tian schüttelte den Kopf. »Das würde sie niemals tun! Sie hatte keine Chance. Sie musste es so aussehen lassen, als wollte sie mich töten, damit ihr denkt, ich wäre nicht freiwillig geflohen. Sie wollte mich schützen.«
    Er ahnte nicht, wie ähnlich wir uns waren. Und wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich vielleicht darüber gelächelt, dieselben Worte, die ich im Gerichtssaal zu seiner Verteidigung gesprochen hatte, nun aus seinem Mund zu hören.
    Tian schniefte und blickte durch das Fenster zum Himmel. »Du verstehst es vielleicht nicht«, setzte er leise hinzu. »Aber man liebt, wen man liebt.«
    Es war nicht diese Antwort, die das Licht in meinem dunklen Raum entzündete, sondern die Sehnsucht in seinem Blick, die ich nur zu gut kannte.

Ich fand Amad gegenüber der Stelle, an der Kallas aus dem Wasser gekommen war. Er war wohl auf dem Weg zurück zur Hütte und blieb einen Moment stehen, um das gegenüberliegende Ufer zu betrachten. In der Ferne ballte sich Nebel, verschluckte einen Waldrand und eine ansteigende Felswand, sodass es aussah, als würde die Welt sich dort in wolkigem Weiß auflösen. Atemlos blieb ich stehen. Jetzt erst wurde mir klar, dass ich befürchtet hatte, Amad könnte fortgegangen sein.
    Ich war überzeugt, dass er mich noch nicht bemerkt hatte, aber natürlich täuschte ich mich.
    »Hast du erfahren, was du wissen wolltest?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
    »Ja.« Mehr brachte ich nicht heraus, viel zu sehr raste mein Herz, viel zu weich waren meine Knie.
    Langsam wandte er sich zu mir um. Sein Mund war eine harte Linie, selten hatte er so distanziert und kühl gewirkt wie jetzt. Ich war so stolz darauf gewesen, meine Jägerlektionen gelernt zu haben, aber erst jetzt ließ ich die Worte hinter mir – und begriff, was es hieß, wirklich zu sehen . Deine

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