Der dunkle Kuss der Sterne
Ghans. Und ich erschrak, wie grau und leer diese Traumwelt war. Wasser, hallte es in dem Grau. Und blaue Wege. Es kamen keine Traumbilder zu mir, nur eine Erinnerung: Augen, so leer, als hätte man jeden Funken und jedes Licht daraus gestohlen. Das Mädchen unter Glas.
Im Dunkeln schrak ich hoch, frierend vor Entsetzen. Ich brauchte eine Weile, um mich zu orientieren. Erst hatte ich Angst, dass die Lichter mich verlassen haben könnten. Aber aus einem anderen Raum drang leises Gemurmel zu mir und ich atmete auf. Doch der Gedanke, der mich mit dem Bild aufgeschreckt hatte, hallte immer noch unbarmherzig in mir nach: Eine von ihnen. Noch nie hatte es sich schlimmer angefühlt, eine Tochter Ghans zu sein. Bin ich das wirklich? Immer noch?
Jetzt erst bemerkte ich, dass ich im Schlaf die Decke zusammengeknüllt hatte und sie umarmte, als wäre sie die Graue, an die ich mich schmiegte. Ich konnte nur hoffen, dass es meiner tapferen Hündin gut ging. Die Decke roch nach Tabak. Vermutlich stammte sie aus dem Militärgepäck eines Söldners. Wahida kam mir in den Sinn. Wie sie ihren Waffengurt festzurrte, mit der präzisen Geste eines Soldaten. Niemand hätte sie für etwas anderes gehalten als für ein Mitglied der Truppe. Die Idee war wie ein heißes, jähes Erschrecken und nahm mir fast die Luft. »Eine … von ihnen!«, flüsterte ich. Dann konnte ich nicht einmal mehr flüstern, ich hatte keinen Atem mehr, während mein Herz stolperte und aus dem Takt kam. Es war eine wahnwitzige Idee. Aber immerhin der Hauch einer Chance.
*
Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Boden kauerte und in die Dunkelheit starrte, während ich fieberhaft nachdachte. Der Plan war wackelig wie ein schräg zusammengezimmertes Haus, die kleinste Erschütterung konnte es zum Einsturz bringen. Und auf Anhieb fielen mir mehr Gründe ein, warum es nicht klappen konnte, als Gründe, warum es funktionieren sollte. Nun, zumindest eines war sicher: Ich würde jeden Verbündeten gebrauchen können, den ich finden konnte.
Im Gepäck des Söldners fand ich nur ein Feuerzeug. Damit stolperte ich los.
Wie vermutet, fand ich die Wächterschatten in dem Saal, in dem die zwei Toten lagen. Wahida hatte Decken über die Körper gebreitet, nur eine blasse Hand ragte hervor. Die rauchigen Schatten schienen die Toten zu bewachen.
Die Feuerzeugflamme bebte, so sehr zitterte meine Hand. Ich hatte die beiden angeschrien und verflucht, sie fortgescheucht, aber noch nie, so wurde mir nun bewusst, hatte ich einfach nur mit ihnen gesprochen. »Ihr … ihr folgt mir, seit ich Ghan verlassen habe«, begann ich. »Und ich möchte etwas von euch wissen.«
Meine Flamme wurde ausgelöscht. Eisiger Wind schien über meine Haut zu streifen, aber ich widerstand dem Reflex, zurückzuzucken. Ein Rest Mondlicht fiel durch milchiges Glas in den Raum. Wolfsaugen starrten mich nun aus nächster Nähe an. Wie damals, vor Tians Prunkzimmer , dachte ich mit einem Frösteln. »Stimmt das, was Manoa über euch gesagt hat? Ihr könnt durch die Weltenhäute gelangen wie Rauch durch ein Tuch?«
Das Flackern schien einzufrieren. Aber dann war da tatsächlich ein angedeutetes schattiges Nicken. Sie reden tatsächlich mit mir! , dachte ich halb entsetzt, halb fasziniert. Und zum ersten Mal kam ich auf den Gedanken, dass es vielleicht die ganze Zeit nur darum gegangen war: nicht wegzuschauen und ihnen zu begegnen, auch ohne dass sie mich mit Waffen in fremden Händen dazu zwangen. »Vielleicht denkt ihr, euer Tod sei meine Schuld gewesen«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich kann euch das Leben nicht zurückgeben. Aber ich biete euch etwas anderes an.«
*
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber Wahida schnürte in der Halle vor dem Nordtor schon Gepäck zu Bündeln. »Ich hätte dich gleich geweckt, Schlafmütze«, rief sie mir entgegen. »Seit ich das letzte Mal nach dir gesehen habe, hast du vierzehntausendachthundertzehn Sekunden geschlafen.«
Trotz allem brachte sie mich zum Lächeln. »Das sind … vier Stunden?«
Wahida verzog ihren Kirschmund. »Hm, naja, immerhin nahe dran. Aber mach dir nichts draus. Für einen Menschen rechnest du immer noch gut genug.« Sie lachte, als sie mein enttäuschtes Gesicht sah, und wuchtete sich einen Rucksack auf den Rücken. Mir sank das Herz. »Ihr geht jetzt schon fort?«
»Natürlich. Auch wenn wir in eurer Wirklichkeit gefangen sind, haben wir immer noch die Wahl zwischen Kammern und Wegen. Und wir wären schön dumm, wenn wir in die Kammern
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