Der dunkle Kuss der Sterne
betäubend stark nach Lilien. Dreizehn Schritte. Mit gebeugtem Nacken stehen bleiben. Die Absätze meiner Schuhe klackten auf dem polierten Boden.
»Nur zwei Wächter« , flüsterte Wahida. »Fünf Meter vierzehn und sechs Meter siebenunddreißig entfernt, zwei Gewehre.«
Ich krampfte die Hand um die Leine der Grauen und blieb stehen. »Höchste Mutter, Höchster Vater.« Das Medasgewand raschelte bei meinem Knicks unter dem Seidenumhang.
»Steh auf!«, befahl der Mégan. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie die Graue beim Klang seiner Stimme mit dem Schwanz wedelte. Ein kurzes Bellen hallte in dem Saal wider. Ich musste mich zusammenreißen, um mir nichts anmerken zu lassen. Ich ließ die Leine los, als wäre sie mir aus Nervosität entglitten. Die Graue trabte mit klickenden Krallen über den Marmor. Nicht zu ihrer Herrin, sondern zu dem Mégan. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Amad ist tatsächlich bei ihm!
»Sei dir nicht zu sicher« , sagte Kallas. »Du hast keine Ahnung, wie tückisch die Méganes sind.«
»Haltet mir den Köter vom Leib!«, befahl der Mégan unwillig. Die Graue jaulte auf, als er ihr unter dem Tisch gegen die Brust trat. Ich hätte vor Empörung fast aufgeschrien.
Ein Wächter hob die Leine auf und zerrte meine völlig verwirrte Hündin fort. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte. Nichts anmerken lassen!
Beim Aufstehen ließ ich den Seidenumhang, der mein Gewand verbarg, zu Boden fallen und hob das Kinn, durch und durch eine Stadtprinzessin, und eine siegreiche Eroberin dazu. Sand rieselte aus den geglätteten Falten auf den polierten Boden.
Meine Lichter waren wie eingefroren, aber ihr Hass gegen die Méganes durchglühte mich bis auf den Grund meiner Seele.
Das Zentrum des Netzes , dachte ich. Zwei Herrscher, eine Zweiheit.
Die Mégana war blasser gepudert als sonst, sie wirkte fast durchsichtig und so hart wie Milchglas, und heute schenkte sie mir kein Lächeln. Vor ihr auf dem Tisch lag Amads schwarzer Dolch und daneben eine dicke Akte, auf der mein Name prangte. Vermutlich war darin meine Reise genauestens dokumentiert. Zumindest die Route, die von den Falken übermittelt wurde.
Der Mégan saß lässig zurückgelehnt in seinem Sessel, seine Greisenhand spielte mit Marams Schlüsseln. Daneben lag mein geöffnetes Schreiben, die Eintrittskarte in den Eisernen Turm. Der Wächter hielt die Graue an der kurzen Leine, aber immer noch starrte sie den Mégan an. Seltsamerweise fühlte ich keinen Triumph darüber, richtig vermutet zu haben, nur eine unendliche Erleichterung, dass mein Geliebter nicht tot war. Ist er in seinem unsichtbaren Gefängnis betäubt? Oder sieht er mich, ohne sich wehren zu können?
Und trotzdem brachte es mich fast aus dem Konzept, als der Mégan sich vorbeugte und die Schlüssel ablegte. Die raubtierhafte Bewegung, die Schärfe des Falkenblicks, ja, das war Amad.
Vergiss ihn , ermahnte ich mich sofort. Hier ist er nur eines: Eine Gabe des Megan und somit dein Gegner.
Auf einen scharfen Wink der Mégana verließen die beiden Bewaffneten den Raum. Die Graue stemmte sich gegen die Leine, aber sie wurde über den glatten Boden durch die Tür, die zum Gefängnistrakt führte, hinausgeschleift.
»Du hattest recht« , raunte Wahida mir zu. »Sie wollen keinen Mitwisser. Jetzt sind wir fünf gegen zwei.«
»Interessant«, bemerkte der Herrscher. »Du hast deine vierte Gabe wieder. Wie ist es dir gelungen, sie wieder an dich zu binden?«
»Sie war nie ganz von mir getrennt«, erwiderte ich. »Und meine Urahnin hat mir ein längst vergessenes Geheimnis geschenkt.«
Damit war der Rahmen abgesteckt. Mein Geheimnis war mein Handelsgut.
Die Herrscher wechselten einen kurzen Blick. »In dem Brief behauptest du, das Gewand, das du trägst, hast du in einem Palast gefunden?«, bemerkte die Mégana. »Für mich sieht das eher aus wie das Hochzeitsgewand einer Moreno.«
»Weil unsere Hochzeitsgewänder Kriegsbeute sind. Wir tragen sie in der Nacht vor der großen Verbindung, um uns selbst und unsere Gaben daran zu erinnern, wer vor hundert Jahren als Sieger aus einem Krieg in der Wüste hervorging«, antwortete ich. »Ebenso wie die Farbe auf unserer Haut, die einst magisch war und unsere Vorfahren bis zu den Sternen führte – und die Sterne zu uns.« Ich legte Kallas’ ganze Schönheit in ein kühles, triumphierendes Lächeln. »Das Gewand gehörte Prinzessin Meda. Ihr wisst es ebenso gut wie ich.«
Die beiden Gesichter wurden völlig
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