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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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raubtierhafte Spannung, und ich fühlte mich, als hätte mich ein Löwe aus seinen Krallen gelassen. »Meine Gemahlin versteht das Leid der Liebe offenbar weitaus besser als ich.«
    Der sarkastische Unterton war kaum zu überhören. Ich wunderte mich über den leichten Missklang zwischen den Herrschern, aber wahrscheinlich bildete ich ihn mir nur ein.
    »Wir werden deine Argumente prüfen, Canda«, sagte die Mégana freundlich.
    »Danke, Höchste Mutter!«
    Die Mégana betrachtete mich besorgt. »Komm mit, Kind«, sagte sie sanft. »Lass uns endlich sehen, wie wir dir helfen können!«

Am Arm des Protokollanten ging die Mégana zur linken Seite des Gerichtssaales. Dorthin, wo ein Podest mit vier Kerzen stand. Die Dochte waren noch weiß und unberührt.
    Die Herrscherin hob den Zedernholzstab auf, der bei den Kerzen lag, und entzündete die in Harz getauchte Spitze. »Hier! Zünde die Kerzen an! Wir müssen prüfen, ob das Ritual, mit dem du deine Brautnacht eröffnet hast, korrekt ausgeführt wurde.«
    Das hatte ich erwartet, meine Mutter hatte mich darauf vorbereitet. Für das Protokoll musste festgehalten werden, dass ich mich richtig verhalten und meinen Zustand nicht selbst verschuldet hatte. Ich nahm also den Zedernholzstab, atmete durch und schloss die Augen.
    Jedes Kind erlernte diese älteste Zeremonie so früh, dass wir sie alle blind durchführen konnten, noch bevor wir es beherrschten, mit Messer und Gabel zu essen. Natürlich glaubten wir nicht mehr an Geister und höhere Mächte wie unsere Ahnen, aber das Ritual gab uns immer noch das Gefühl von Tradition und Zusammenhalt.
    In Gedanken kehrte ich zurück in das Prunkzimmer. Noch war der Raum in Abendrot getaucht, meine Freundinnen und meine Schwester noch nicht nackt, noch ohne die blauen Zeichen auf der Haut. Lächelnd saßen sie auf dem riesigen Bett, ließen die Beine baumeln und sahen mir dabei zu, wie ich mit dem brennenden Zedernstab zum Podest mit den Kerzen ging. Etwas abseits auf einem Tischchen stand die Flasche Mitternachtswein. Sonne verwandelte das Rot darin in Lavaleuchten. Mein Herz glühte bei diesem Anblick, und mir war, als wäre Mitternacht schon vorbei und Tian und ich verbunden für immer.
    »Für diese Nacht meiner Verwandlung von Einheit zu Zweiheit rufe ich dich, dunkle Schwester Zahl. Erscheine!« Ganz von selbst fand die Zedernholzspitze den Docht der ersten Kerze. Er fing sofort Feuer, das charakteristische Knistern verriet es mir.
    »Und ich rufe dich, heller Bruder, der nie vergisst, stehe mir auch in Zweiheit stets zur Seite!«
    Die zweite Flamme. Ich konnte die Wärme fühlen, erinnerte mich an jede Einzelheit, wie es meine Gabe war. An Anib, die ihrer Schwester zuflüsterte, dass sie in ihrer Hochzeitsnacht ganz bestimmt keine Brüder an ihrer Seite haben wollte, und Zabina, die darüber kicherte. Und an Vida, die Zabina in die Seite stieß und »Scht!« machte, obwohl sie selbst lachen musste. Ich glaubte das Flüstern meiner Mädchen wie Echos in meinem Kopf zu hören, so laut, dass es mich fast aus dem Takt brachte. Oder waren es andere Stimmen? Konzentrier dich! Aber als ich die Augen öffnete, war das Flüstern immer noch da. So, wie Tian das Meeresrauschen beschrieben hatte: Immer im Hintergrund. Anders als der Wind.
    »Ich rufe meinen stillen Bruder, den Wegesucher, der weiter sieht als andere«, sprach ich lauter. »Erscheine in dieser Nacht, in der ich meinen Gefährten wähle für immer …« Das Zedernholzstäbchen zitterte in meiner Hand, so nervös war ich plötzlich. In meinem Rücken konnte ich die Blicke spüren. Ich atmete tief durch. Nur noch die letzte, Canda . » … und meine goldene Schwester Glanz«, schloss ich die Anrufung, »die mich mit ihrem Lächeln begleitet, mit Tanz und Klang und Anmut, und die mich mit leichtem Schritt die Schwelle zur Kammer aller Herzen überschreiten lässt. Erscheine und bleibe!«
    Die vierte Flamme knisterte, offenbar war der Docht feucht geworden. Bitte nicht ausgehen! , flehte ich. Aber die vierte Kerze tat mir den Gefallen nicht. Ihr Feuer blieb lächerlich klein, kaum vorhanden, nicht mehr als ein Lichttropfen am Docht. Und dann verlosch sie einfach. Das Blut schoss mir in die Wangen. Ich hob den Stab, um es ein zweites Mal zu versuchen, doch die Mégana winkte ab. »Das genügt.« Ich nickte verzagt und blies die Flamme am Holzstab aus. Es war gespenstisch, dass ausgerechnet die vierte Kerze, die mir immer die liebste war, nicht mehr brannte. Fast so, als wollte

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