Der dunkle Kuss der Sterne
wahr!«
»Nicht? Glaub mir, wenn es den Zielen der Familie nützen würde, würde jeder von ihnen dir sogar ein Messer in die Brust jagen. Warum bist du immer noch besessen von dieser Fata Morgana, deine Macht wiederzuerlangen?«
Ich richtete mich auf. »Du weißt nicht, was du redest! Und es geht nicht um Macht.«
»Ach ja, stimmt, um eure große unsterbliche Liebe! Du glaubst im Ernst, dieser Labranako-Prinz liebt dich?«
»Einem Sklaven steht es nicht zu, über uns zu urteilen!«
Amadar lachte und zog die linke Augenbraue hoch. »Ah, endlich fällt die hochwohlgeborene Maske und wir hören die wahre Stimme der zarten Liebenden. Naja, zumindest die Stimme des Mädchens, das sich einbildet zu lieben, nur weil sie einem Kerl durch die Wüste hinterherstolpert.«
»Bastard!«, zischte ich.
Er zuckte nur mit den Schultern. »Immerhin ein Bastard, der begriffen hat, dass Wut dich am schnellsten wieder aufstehen lässt.«
Ich hatte tatsächlich nicht gemerkt, dass ich aufgesprungen war.
Inzwischen war es so dunkel, dass unsere Schatten mit dem Untergrund verschmolzen. Die Schädel schienen erwartungsvoll zu grinsen. Aber es war sicher nur eine Täuschung der Dämmerung.
Ich richtete mich auf und klopfte den Staub von der Kleidung. »Wir kehren nicht um.«
»Wie du willst.« Amadar schritt zu einem Dornstrauch und zückte das lange, gebogene Messer. Mit wenigen Hieben hatte er ein Stück Ast abgehauen und von Dornen befreit. »Hier!«
»Was soll ich damit?«
»Du hinkst schon wieder, jedes Raubtier wird dich für ein leichtes Abendessen halten. Außerdem ist er eine gute Waffe. Ab jetzt müssen wir auf der Hut sein, man sieht nicht mehr weit genug. Halte dich weg von den Felsen und von unübersichtlichen Stellen. Am besten gehe dicht hinter mir und achte auf die Hunde.« Er pfiff den Tieren und die Meute drängte sich gehorsam um uns.
Mein Stolz wollte mir verbieten, den Stock zu nehmen, aber Tian gewann nichts, wenn ich zu langsam war. Also stützte ich mich darauf und folgte Amadar. Der Weg führte nach einer Weile leicht bergauf, zwischen sandverschütteten Plateaufelsen und Dornbüschen. Unbehaglich sah ich mich immer wieder um. Zumindest Löwen schienen nicht in der Nähe zu sein: Meine Hündin schnüffelte unbekümmert neben mir her. An einer Erhebung, auf der sich Felsen aufschichteten, fegte sie aber plötzlich ein Stück den Abhang hoch und stöberte im Geröll, vielleicht auf der Spur nach einer Eidechse.
»Graue!«, rief ich ihr leise hinterher. »Lass das, komm her!«
Die Hündin wedelte nur mit dem Schwanz und begann zu graben. Dann zuckte sie zusammen und jaulte auf. Ich konnte gerade noch sehen, wie das Tier nach oben gerissen wurde, als hätte eine unsichtbare Hand sie am linken Vorderlauf gepackt. Aber es war keine Hand, sondern eine Schlinge, die den Hund zu einem Querast eines Dornstrauches hochzog, wo er wie ein Fisch zappelte. Das Jaulen schnitt mir ins Herz. Ich hörte zwar noch Amadars warnenden Ruf, aber da kämpfte ich mich schon durch Sand und Geröll bergauf. Eine Sekunde bevor ich das Fangseil durchschneiden konnte, stieß mein Knöchel gegen einen federnden Widerstand, der so plötzlich nachgab, dass ich lang hinschlug. Ich schrie auf, weil ich im Halbdunkel dachte, eine Schlange würde sich vor mir entlangschlängeln, aber es war ein Stück dünnes Seil, das unsichtbar unter dem Sand getarnt gewesen war. Nun peitschte es in einer Sandfontäne nach oben und verschwand über eine flache Felskuppe. Eine zweite Falle! Knirschendes Schieben ertönte, gefolgt von einem Poltern, das den Boden erschütterte, und einer Lawine von Geröll, die mir entgegenrutschte. Amadar rief etwas, aber mein Verstand war nicht in der Lage, die Worte zu sortieren. Und noch viel weniger, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
In Büchern hatte ich über die Kreaturen gelesen, nur war das hier kein Lehrbild, und trotz der anbrechenden Dunkelheit konnte ich jede Einzelheit erschreckend deutlich erkennen. Halb wälzte das Wesen sich, halb fiel es im Geröllregen über die Kuppe. Sehnige Gliedmaßen schlugen Fächer von Sand in die Luft, dann wuchtete sich das Ungeheuer mit einem dumpfen, ächzenden Laut auf die Beine und schüttelte sich. Sand rieselte von dem Kopf, kantig und hohläugig wie ein Totenschädel, erschreckend menschenähnlich und doch länglich wie ein Raubtierkopf – als hätte ein verrückter Wissenschaftler eine Chimäre geschaffen. Es hatte kein Fell, sondern lederne faltige Haut,
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