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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Antwort hinunter. »Wir sehen hier meist nur Sklavenkarawanen und Reisende von der Küste, die diese Route nehmen«, erzählte die Frau. »Die Städter hüten sich vor den alten Schädelfeldern und brauchen die Dienste unserer Station nicht. Wenn sie verreisen, was ohnehin nur alle Leben vorkommt, haben sie eigene Eskorten und Pferde. Ist auch gut so. Hoher Besuch bringt nur Unruhe.« Sie deutete mit einem mürrischen Wink auf den Hirten, der draußen immer noch mit Amadar sprach. Dann klappte sie das Türleder zu und legte das Schlangenfleisch in den Topf. Es zischte, als würde das Reptil zu neuem Leben erwachen.
    Plötzlich war mein Mund wieder so trocken wie zuvor. »Also war vor Kurzem jemand aus der Stadt hier?« Und er hat sich mit dem Hirten geprügelt? Es sah Tian nicht ähnlich, aber wenn er sich gewehrt hatte …
    »Kann man wohl sagen«, mischte sich der Alte wieder ein. »Besuch aus Ghan ist seltener als Kreaturen in unserer Gegend, aber neuerdings geschehen wohl alle Wunder zur gleichen Zeit.«
    »Dein Begleiter hat mir gesagt, ihr seid von Kreaturen angegriffen worden«, sagte die Frau besorgt. »Gut, dass ihr uns warnt.«
    »War ein junger Mann dabei?«, sprudelte ich hervor. »So alt wie ich. Mit bronzefarbener Haut und rotem, lockigem Haar?«
    Meine Gastgeberin und ihr Vater sahen sich ratlos an. »Er hat hellgrüne Augen«, setzte ich hinzu. »Er trägt rote Schlangenzeichnungen an den Handgelenken und am Nacken. Und vielleicht … hatte er einen Wüstenmantel an. Möglicherweise waren mehrere Männer bei ihm. Und vielleicht …«, ich schluckte, »… war er sogar gefesselt.«
    Der Alte bekam schmale Augen und musterte mich mit ganz neuem Interesse. »Nein. Hier war vorgestern nur ’ne junge Frau – so alt wie du, aber eine Städterin. Eine von den echten, die in den hohen Türmen geboren wurden, nicht die, die nur zum Arbeiten in die Stadt dürfen. Und die – oh ja, die hatte ’nen weißen Mantel. Brauchte sie auch, war selbst so hell wie ’ne Wüstenlilie. Wäre sonst an der Sonne verbrannt wie ein Blütenblatt in der Glut.«
    Der Fremde hat Jenn beauftragt, einen weißen Wüstenmantel zu kaufen! In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Gehörte das Mädchen zu den Entführern? Aber so auffällig weiße Haut war ein eindeutiges Merkmal der Familie Siman. Tian von einer der Höchsten Familien entführt? Das war völlig absurd. Außerdem kannte ich alle Siman-Mädchen in meinem Alter. Keine einzige von ihnen hatte eine Lizenz, die Stadt zu verlassen – abgesehen davon, dass meine Eltern sofort davon erfahren hätten, wenn ein Siman-Mädchen verschwunden wäre. Vermutlich war es der Frau einfach gelungen, sich vor den Barbaren als Hohe auszugeben. Sie sahen ja selten genug Städter.
    Der Alte hustete rasselnd und fuhr dann fort: »Unseren zwei Jungen hat sie den Kopf verdreht, die Stadthexe. Haben ihr Wasser geschenkt und sich wegen ihr sogar geprügelt – nur darum, wer ihr aufs Pferd helfen darf.« Er lachte. »Kein Wunder, so eine Schönheit wie sie hat man hier noch nie gesehen: so strahlend wie die Sonne selbst.« Mir gab es einen Stich, so traurig und bitter wurde ich mit einem Mal. Und so neidisch auf eine Fremde, die ich nicht kannte und von der ich nur wusste, dass ihr Leben weiterging und ihr Lächeln und ihre Schönheit die Menschen weiterhin betören würden.
    »Für solche Frauen wurden Morde begangen und Kriege entfacht.« Der Alte seufzte versonnen. Seine verwelkten Fäuste öffneten und schlossen sich, als würde er sich wehmütig an einstige Lieben und Kämpfe erinnern. »Wäre ich jünger, ich wäre meinem Bruder wohl auch für eine wie sie an die Gurgel gegangen!«
    »Suli«, tadelte ihn seine Tochter. »Sprich nicht so, du ziehst uns das Unglück ins Haus.«
    Aber der Alte schloss die Augen und sprach weiter. »Sie hat gesungen, als sie weggeritten ist. Hab nie was Schöneres gehört.« Er summte mit dünner, brüchiger Stimme eine fremdartige Melodie. Ich kannte das Lied nicht, es war keines aus der Stadt, und trotzdem war es, als hätte ich diese seltsamen, schrägen Tonfolgen schon einmal gehört, vielleicht in einem Traum. Wehmut schwang darin mit, eine Sehnsucht und Verlorenheit, die mich an Tian denken ließ und mich traurig machte. Der Alte dagegen lächelte und sein Gesicht schien wieder jung zu werden, als würde der Abglanz der Fremden ihn einhüllen.
    »Und hat diese strahlende Schönheit auch gesagt, was sie in der Wüste will?«, unterbrach ich ihn

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