Der dunkle Kuss der Sterne
streifte ich ihn wieder ab.
»Ich streite mich nicht! Ich war nur neugierig.«
Sie stutzten beide ein wenig, als hätten sie von mir eine andere Antwort erwartet.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte ich in die angespannte Stille. »Im Zentrum der alten Schlachtfelder gibt es eine Höhle, die bewohnt zu sein scheint. Wisst ihr etwas darüber?«
»Die Höhle der Träume?«, krächzte der Greis. »Sie ist ein Ort der Geister. Manchmal kommen Traumdeuter von der Küste dorthin und sprechen mit ihnen, aber leben würde dort niemand. Mein Großvater war einmal drin. Er hat erzählt, dass die Geister dort Zeichen hinterlassen haben. Hat nie wieder gut geträumt, nachdem er dort war.«
»Ja, es gibt dort tatsächlich Malereien an den Wänden«, rief ich. »Was erzählt man sich hier darüber?«
Sie runzelten beide die Stirn, als wäre meine Frage ungehörig oder seltsam. »Hörst du nicht zu?«, meinte der Alte dann. »Die Höhle ist kein Menschenwerk, die blauen Zeichen sind Geisterschrift. Kein Mensch weiß, was sie zu bedeuten haben, und wenn man seine Seele behalten will, dann fragt man nicht danach. Neugier lockt die Wesen aus der dunklen Welt an.«
Selten war ich so enttäuscht gewesen. Wenigstens eine Legende musste doch existieren? In der Stadt hatte ich gelernt, dass nichts verloren ging. Die Geschichten von Völkern glichen Sandgebäuden – der Wind mochte sie zerreiben und in alle Winde zerstreuen, aber die einzelnen Fragmente blieben existent.
»Warum willst du das alles überhaupt wissen?«, schnappte die Frau.
Zum Glück kam genau in diesem Augenblick ein etwa vierzehnjähriger, kräftiger Junge herein, vermutlich der zweite Enkel des Greises. Die Faust seines Bruders hatte seine Nase punktgenau getroffen. Die Fremde musste ihnen wirklich den Verstand geraubt haben. »Alles fertig, Mutter«, nuschelte er. Aber er starrte bei diesen Worten mich an. Sein Blick glitt neugierig zu Smilas Löwenamulett.
»Bist ’ne Magische? Eine, die Träume lesen kann?«
»Wozu soll das gut sein?«, rutschte es mir heraus.
Die drei starrten mich an, als hätte ich gefragt, ob die tote Schlange im Topf tanzen konnte. Mein Gesicht brannte noch mehr als ohnehin schon, so rot wurde ich. Der Schmutz, der Sonnenbrand und die Kapuze mochten eine gute Tarnung sein, aber der Alte war längst misstrauisch. Und Worte reichten offenbar auch, um mich als Hohe zu verraten.
»Weißt du, was komisch ist, Mädchen?«, sagte der Alte jetzt auch prompt. »Nicht nur, dass du die Städter verteidigst – du siehst irgendwie anders aus als wir, du bist unhöflich und weißt nicht, was sich Gastgebern gegenüber gehört. Du setzt die Kapuze nicht ab und für das Wasser hast du dich nicht mal bedankt! Und auch sonst redest du überhaupt nicht wie eine Tamrar.«
»Wir brechen auf!« Diesmal rettete mich Amadars Ruf vor Erklärungen. Hastig rappelte ich mich auf und verließ die Hütte.
Am innersten Dornenwall warteten zwei gesattelte und bepackte Wüstenpferde. Es waren langbeinige, knochige Tiere, grau wie altes Holz. »Steig auf«, rief mir Amadar zu. »Wenn du nicht weißt, wie, mach es mir einfach nach.« Er zog sich mit Schwung auf den Pferderücken.
Zaghaft streichelte ich den Hals des kleineren Pferdes. Ich kannte das Stockmaß dieser Tiere, wusste, dass sie sieben Tage ohne Wasser auskamen und wie viel sie auf dem Tiermarkt in der Stadt kosteten. Aber ich hatte nicht gewusst, dass sich ihr Fell so rau wie vertrocknete Rinde anfühlte und dass eine zusätzliche Nickhaut ihre Augen vor Sonne und Sand schützte, was ihnen das unheimliche Aussehen von Blinden gab. Mein Pferd war offenbar keine freundliche Berührung gewohnt. Drohend legte es die Ohren an und schnappte nach mir.
Die Blicke der Barbaren brannten in meinem Rücken. Sie hatten sich vor der Hütte aufgereiht und beobachteten mich. Der Greis stützte sich auf einen Stock, ich hätte schwören können, es war ein krummer Knochen. »He, und du bist sicher, dass du sie nicht hierlassen kannst?«, krächzte er Amadar zu. »Sie ist zwar eingebildet und unverschämt, aber noch jung – und sie gefällt meinen Jungs. Ich geb’ dir einen Armreif aus Kupfer für sie!«
Amadar rückte das Gepäck hinter sich zurecht. »Nur einen? An der Küste kriege ich vier. Immerhin hat sie noch alle Zähne.«
Ich schnappte empört nach Luft. Aber der Greis kam mir mit einer Antwort zuvor. »Na gut, zwei!«
Amadar schüttelte den Kopf. »Ich habe es doch schon deinem Enkel erklärt, alter
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