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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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es nicht verstehen.
    Ich rieb mir über die Gänsehaut an meinen Armen, der Wind war kühl. Aber das allein war es nicht. Sterne, die verlöschen . Etwas Ähnliches hatte Amad gesagt, als wir von den Kreaturen umzingelt gewesen waren. Und noch etwas beunruhigte mich: die Höhlenmalerei. Dort gab es die Zeichnung einer gebogenen Linie, die wie die Haut einer Seifenblase das Schlachtfeld trennte. Hatten meine Ahnen damit eine Weltenhaut dargestellt? Ich hoffte, meine Stimme würde mich nicht verraten, so zittrig fühlte ich mich. »Eine Frage noch, Manoa. Weißt du etwas über eine Familie Moreno?«
    Manoa tippte ohne zu zögern gegen den Rosendiamanten. »Reiche Herren, gute Kunden. Talentierte Geschäftsleute, knallhart, aber sie halten ihre Abmachungen ein, solange man nach ihren Regeln spielt. Noch nie von ihnen gehört, Mädchen? Sie leben irgendwo hinter den Bergen. Ich verhandle nur mit ihren Boten.«
    Die Frage war dumm gewesen, natürlich kannte sicher jeder in Tibris eine der wichtigsten und reichsten Familien des Landes. Aber ich stutzte trotzdem. »Welche Dienste benötigen sie von einer Traumdeuterin?«
    Manoa schüttelte den Kopf. »Meine Kunden schätzen meine Verschwiegenheit. Warum willst du das alles wissen?«
    »Ich … hatte irgendwo gehört, ihre Vorfahren wären ebenfalls Traumdeuter gewesen.«
    Manoa blinzelte verdutzt, dann brach sie in Gelächter aus. »Davon wüsste ich. Hat dir das derselbe Lügner erzählt, der dir versprochen hat, du könntest mit Geistern sprechen? Nein.« Sie zog sich das Tuch wieder über die Nase. Das Gespräch schien für sie wohl beendet zu sein.
    »Was ist mit meinem zweiten Geschenk?«
    »Finde es selbst heraus.« Unwillig deutete sie nach Westen. »Begrüße mit den anderen das Meer. Dann wirst du schon sehen, was ich dir mitgebe.« Hinter uns begannen einige Frauen zu singen, ein einfaches Lied, schräg klang es, weil viele die Töne nicht trafen. Manoa setzte sich ächzend zurecht und begann mit tiefer, knarzender Stimme den Refrain mitzubrummen. Aber obwohl die Menschen hier ohne jede Gabe sangen, berührte es mich: Das Lied erzählte von der Sonne, die ihren Geliebten verloren hatte. Jeden Tag wanderte sie über die Berge in den Himmel, um ihn zu suchen.
    Ich biss mir auf die Unterlippe und umschloss den Zweig mit den Fingern. Tian, meine Sonne , dachte ich. Und Canda: sein Stern.
    Ich versuchte mir Tian vorzustellen, sein Lächeln und seinen weichen Kuss, doch auch hier verfolgte mich Amad wie ein Fluch, den ich nicht abschütteln konnte.
    Ich drehte mich um und schaute nach vorne. Und vergaß sogar Amad. Ich hatte über das Meer gelesen, sogar Bilder gesehen von Fangbooten und Wellen. Aber nichts davon hatte mich auf diese Weite vorbereitet. Der Wind brannte in meinen Augen und riss mir den Atem aus dem Mund, aber ich konnte mich nicht abwenden.Bis zum Horizont erstreckte sich ein unendlicher Malachitspiegel, eine Wüste aus grünem Wasser mit einem Muster aus wandernden Wellendünen. Der Wind war kühl und trug einen fremden Geschmack von Salz und Weite mit sich.
    Das Rattern des Zuges vermischte sich mit dem Gesang. Eine weitere Strophe von der Sonne, die abends erschöpft von der Suche dem Meer entgegensank – und dort ihren Geliebten entdeckte: ihr Spiegelbild, das sie küsste und mit ihm verschmolz. Ich ertappte mich dabei, wie ich mitsummte, dann, ganz vorsichtig, fing ich ein paar Worte des Refrains auf. Er war einfach wie ein Kinderlied:
    »Findest niemals, was du suchst,
    irrst du auf dem Land umher,
    Alles, was dein Herz ersehnt,
    schenkt dir nur das grüne Meer.«
    Ich sang mit all diesen Menschen, ebenso stolpernd und ohne jede Gabe, erst nur flüsternd und dann etwas lauter. Meine Stimme vermischte sich mit denen der anderen. Es war ein seltsames Geschenk, das Manoa mir machte: Mich selbst zu vergessen.
    Ich war getrennt von den Menschen und doch Teil von ihnen, eine Verbindung auf Zeit, brüchig und filigran wie ein Glasnetz, und dennoch trug es mich. Vielleicht fühlen so die gewöhnlichen Menschen? , dachte ich. Ich betrachtete jedes Gesicht und merkte, dass sie mir nicht mehr barbarisch und farblos vorkamen. Es fehlte ihnen ein greller Glanz, ja, dafür waren sie unstet wie flackernde Flammen und unberechenbar, und sie bargen eine Schönheit, die ich bei meinen Dienern niemals bemerkt hatte: Falten, die wie Linien auf verwitterten Landkarten wirkten und von Lebenswegen erzählten. Gebräunte Hände, die die flatternden Tücher im Wind

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