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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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rechnen.«
    Er winkte angewidert ab. »Damit bewirb dich am Menschenhafen. Da kannst du Goldstücke für die feinen zweibeinigen Raubfische aus fremden Ländern zählen, die sich gar nicht genug Sklavenfleisch in den Schlund stopfen können. Im Fanghafen brauchen sie Hände, an denen noch alle Finger dran sind, Köpfe haben die selber. Jedenfalls solange sie Glück haben.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf das Haifischgebiss. Dann stempelte er einen roten Zettel ab und reichte ihn mir. »Hier, den Lohnzettel gibst du am Ende der Saison wieder ab. Melde dich in den Fängerbaracken beim Hafenvorsteher, der vermietet dir ein Quartier. Und lern die Regeln: Keine Schwarzmarktgeschäfte, auf Diebstahl und Körperverletzung steht Sklaverei, auf Streit Stadtverbot, und wer nach Sonnenuntergang noch auf den Stegen ist, zahlt Strafe und verbringt einen Tag im Gefängnis.« Mit einer verächtlichen Geste winkte er mich endlich durch.
    Hinter den Toren führten steile Treppen bergab in die verschiedenen Bezirke.
    Jetzt, als ich die ganze Stadt unter mir sah, verstand ich, was Manoa gemeint hatte. Meine Bücher erzählten von einer blühenden bunten Handelsstadt mit prächtigen weißen Gebäuden. Von siebzig Silberbrücken, gekrönt von Skulpturen und Gaslaternen, die die Stadt nachts in ein magisches, verwunschenes Land verwandelten. Sie erzählten von endlosen Muschelfeldern und exotischen Märkten mit Handelswaren aus aller Welt. Von Palästen mit Fenstervorhängen aus echten Rosenperlen.
    Nun, es mussten sehr alte Bücher sein oder ein anderes Tibris. Dieses hier bestand hauptsächlich aus Slums. Ein ganzes Heer von zusammengezimmerten Baracken kesselte die grünen Hafenbögen ein. Nur im ersten der Häfen ganz rechts unter mir – dem Handelshafen – erhob sich noch eine gemauerte Altstadt auf einem kleinen Hügel, gekrönt von einem Leuchtturm. Er hatte Lücken in den Mauern und wirkte fadenscheinig.
    »Los, weitergehen, nicht gaffen«, drängte eine Frau hinter mir.
    Der Fanghafen, den ich kurz darauf mit einer Gruppe von Tagelöhnern betrat, stank nach Abwasser und Fisch. So wie bei uns der Sand jedes Stück Land in Besitz zu nehmen versuchte, so streckte hier das Meer seine nassen Finger in die Stadt, es schwappte unter den Stegen, die bei Flut sicher unter Wasser standen. Nur ein paar verrostete Laternenpfähle in der Form von schlanken Seejungfrauen verrieten noch etwas von der einstigen Pracht. Ich überquerte zusammengeflickte Holzbrücken, die bedenklich knarrten. Wann ist die Stadt zugrunde gegangen? , fragte ich mich erschüttert.
    Unauffällig blieb ich zurück. Einen Moment dachte ich darüber nach, nach Juniper zu suchen, aber sicher war sie noch nicht in der Stadt. Und die Zeit drängte für Tian. Vielleicht wurde er gerade auf ein Sklavenschiff gebracht.
    Ich zerknüllte den roten Zettel und warf ihn von der Brücke. Das grüne Wasser schäumte auf, ein knochiges Ungeheuer mit breitem, zahnlosem Fischmaul schnappte nach dem Papier und tauchte wieder ab. Ich konnte die Graue gerade noch abhalten, dem Fisch hinterherzuspringen, mit zitternden Knien zog ich sie zurück, dann schlug ich den Weg zum Sklavenhafen ein.
    *
    Ich ging mit hoch erhobenem Kopf und strengem Blick, schnellen Schrittes, als hätte ich ein Ziel. Es funktionierte. Viele Leute sahen mir nach – einer jungen Frau mit einem Hund und einem Gewehr im Gepäck, aber niemand wagte es, mich anzusprechen.
    Der Menschenhafen war moderner als die anderen. Blockartige, niedrige Lagerbaracken umfassten ihn, vermutlich Quartiere der Sklaven. Am Berg ragten neue Gebäude hervor, schwer bewacht und teuer, aber geschmacklos mit weißen Statuen von Menschen verziert. Sicher die Domizile der Händler, die mit diesen steinernen Symbolen auf ihre Handelsgüter hinwiesen.
    Im Eilschritt überquerte ich zwei Märkte. Es roch nach Teer und schwerem Parfüm. Alle zwei Meter ragte ein Podest mit einem Pfosten und einer Handschellenhalterung aus dem Boden. Viele waren leer, an einigen waren jedoch Sklaven ausgestellt. Unter Sonnensegeln warteten besonders hellhäutige Menschen auf Käufer, ich sah bildschöne Frauen und schmächtige Kinder, kaum zehn Jahre alt, atmende Ware. Es schnitt mir ins Herz, sie gefesselt zu sehen.
    Im Hafen warteten zwei schwarze Transportschiffe auf ihre Ladung. Aus irgendeinem Grund waren ihre bauchigen Rümpfe bis zur Wasserlinie mit spitzen Metallstacheln bestückt. Nervös ließ ich die drei Zweige mit Tians Haar immer

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