Der dunkle Punkt
einen Schritt vor.
Ich packte sie noch fester und zerrte sie am Arm zurück. Sie fuhr wütend herum und wollte empört protestieren, aber als sie mein Gesicht sah, klappte sie ihren Mund wieder zu und starrte mich entgeistert an.
»Anscheinend niemand zu Hause«, sagte ich laut und drängte sie auf die Treppe zu. Bertha hatte noch immer nicht begriffen, was los war. Ich mußte sie mit Gewalt nach unten schleifen, weil sie alle zwei Stufen stehenbleiben und lange Reden halten wollte. Zum Glück kam sie schließlich so außer Atem, daß sie sich widerstandslos auf die Straße bugsieren ließ. Dort klemmte ich sie mir unter den Arm und eilte mit ihr die St. Charles Avenue entlang.
»Sag mal, was ist eigentlich in dich gefahren?« keuchte sie endlich entrüstet. »Der Mann ist ermordet worden, und wir hätten die Polizei benachrichtigen müssen.«
»Mach, was du willst«, sagte ich kurz. »In der Wohnung ist sowieso kein Telefon. Außerdem wärst du nicht mehr lebendig herausgekommen.«
Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Was, um alles in der Welt, soll das nun wieder heißen?«
»Du meine Güte, hast du’s denn noch immer nicht kapiert? Irgend jemand muß doch den Summer bedient und die Tür oben so einladend offengelassen haben.«
»Wer denn?«
»Zweimal darfst du raten. Entweder war die Polizei schon da und lauerte auf verdächtige Besucher, oder der Mörder lag im Hinterhalt und wartete auf sein zweites Opfer. Ich tippe auf den Mörder.«
Sie dachte angestrengt nach. »Verflixt! Ich glaube beinahe, du hast recht. Aber damit ist ja noch nicht gesagt, daß er auf uns gewartet hat.«
»Nein, natürlich nicht. Aber das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.«
»Was meinst du damit?«
»Wenn wir das Zimmer betreten hätten, wären wir ihm direkt in die
Arme gelaufen. Dann hätte er sich’s nicht mehr leisten können, uns wegzulassen.«
Bertha wurde nachträglich blaß vor Schreck, als ihr klar wurde, wie nahe sie ihrem letzten Stündlein gewesen war. »Ich werd’ verrückt«, murmelte sie, ganz benommen. »Also deshalb hast du so laut durch die Gegend trompetet, daß niemand da ist.«
»Stimmt. Dort drüben ist eine Kneipe. Wir können von da aus die Polizei anrufen und gleichzeitig die Haustür im Auge behalten, um zu sehen, ob jemand ‘rauskommt.«
»Wer war der Tote?« fragte Bertha, die sich mühsam gefaßt hatte. »Kennst du ihn?«
»Er rannte Roberta gestern abend die Bude ein, und wenn mich nicht alles täuscht, war sie davon keineswegs begeistert. Davor habe ich ihn schon einmal gesehen, und zwar im französischen Viertel.«
»Wann war das?«
»In der Nacht vor deiner Ankunft. Ich konnte nicht schlafen und trat ans Fenster. Er kam aus der Bar gegenüber in Begleitung zweier Frauen. Ein Bursche wartete mit dem Wagen auf sie.«
Erinnerungen an ihre eigenen nächtlichen Erfahrungen im französischen Viertel rüttelten Bertha auf. »Was? Gehörte er etwa zum Autohupenverein?«
»Und ob! Seinetwegen wurde das schlimmste Hupkonzert veranstaltet, das ich je erlebt habe.«
»Na, dann freut’s mich, daß er tot ist.«
»Sei still! So was sagt man nicht mal im Scherz!«
»Wer, zum Kuckuck, hat denn behauptet, daß ich scherze! Es ist mein voller Ernst. Müssen wir nicht endlich die Polizei benachrichtigen?«
»Ja, aber das erledige ich auf meine eigene Methode.«
»Ach, und die wäre?«
»Komm mit. Ich zeig’s dir.«
Wir gingen in die Kneipe, und ich fragte den Wirt mit erhobener Stimme, ob er die Freundlichkeit haben würde, uns ein Taxi zu bestellen. Er zeigte stumm auf die Telefonzelle neben der Tür und nannte mir die Nummer der Taxizentrale. Ich wählte, brachte mein Anliegen vor und erfuhr, daß der Wagen in zwei Minuten zur Stelle wäre. Ich wartete, bis ich draußen vor dem Lokal das Taxi hupen hörte, warf ein zweites Geldstück ein, wählte die Nummer der Mordkommission und sagte beiläufig: »Haben Sie einen Bleistift zur Hand?«
»Ja.«
»Gut. Dann notieren Sie: Gulfpride-Apartmenthaus in der St. Charles Avenue. Die Wohnungsnummer ist zwei-Null-vier.«
»Na und? Wer spricht dort? Was wollen Sie?«
»Ich will einen Mord melden. Wenn Sie schnell ein paar Streifenwagen losschicken, schnappen Sie vielleicht sogar noch den Mörder. Anscheinend steht noch ein weiteres Opfer auf seiner Liste.«
»Sagen Sie mal, wer spricht dort eigentlich?«
»George.«
»George ...? Und weiter?«
»Washington.« Ich hängte ein und verließ die
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