Der dunkle Ritter (German Edition)
wie ein Amulett getragen, hatte zuerst Trost und später Kraft daraus gezogen. Selbst jetzt half dessen kaltes Gewicht auf seinem Herzen ihm, bei sich zu bleiben. Er erdete ihn, bewirkte, dass er sich konzentrierte. Half ihm, sich zu beherrschen, wenn ihn die Versuchung überkommen wollte, etwas zu empfinden. Jeden Moment eines jeden Tages erinnerte ihn dieses Stück Silber mit dem kohleschwarzen Stein daran, wer er war, was er immer sein würde.
Blackheart.
»Niemand hat die Wahl«, sagte er abrupt, und seine Stimme klang so ruhig, dass er sich fragte, ob er diese Worte wirklich ausgesprochen hatte.
Als Lady Emmalyn mit gerunzelter Brauen zu ihm hochschaute, sah sie fast so verwundert aus, wie er sich fühlte. »Ich verstehe das nicht. Wolltet Ihr denn nicht Ritter werden, Sir Cabal?«
Er lachte bei dieser Frage, ein scharfes zynisches Bellen, das sie zusammenzucken ließ. »Was zählt es, was ich will? Wen interessiert das?«, erwiderte er und bedrängte sie absichtlich, indem er sich vorbeugte, als sie sich zurückzuziehen begann. »Interessiert es Euch, Lady Emmalyn?«
»Was meint Ihr damit?«, fragte sie und holte zitternd Luft. Sie wich vor ihm zurück, es war ein fast unmerklicher halber Schritt, der sie näher zu den dicht stehenden Bäumen in ihrem Rücken brachte. Ihre rosafarbenen Lippen teilten sich, als sie zu Cabal hochsah, waren ganz und gar unschuldsvolle Schönheit und weibliches Versprechen. »W-was ist es, was Ihr wollt?«
Er war sich sicher, dass sie es wusste. Schließlich hatte er seit seiner Ankunft auf Fallonmour wenig getan, sein Verlangen nach ihr zu verbergen. Mehr als alles andere wollte er jetzt jenen vorlauten rosenroten Mund küssen. Er wollte sich in diesem Augenblick, wollte sich in Emmalyns Kuss verlieren. Sich verlieren in den Freuden ihres Körpers.
Sie konnte ihn seine Vergangenheit vergessen lassen – sich selbst vergessen lassen – , wenn auch nur für wenige wunderbare Augenblicke. Er mochte noch so sehr dagegen ankämpfen, aber er wollte nichts mehr, als jede süße Unze ihrer Leidenschaft zu fordern und sie mit seiner zu füllen. Er wollte sie nehmen. Er wusste, dass er sie haben konnte … aber niemals behalten.
Cabal entschied, dass ihn das verdammt noch mal nicht interessierte.
Ohne ein weiteres Wort beugte er sich über sie und drückte seine Lippen auf ihre.
Emmalyn stockte der Atem in dem Moment, als seine Lippen die ihren berührten. Der schmale Stamm eines Apfelbaumes in ihrem Rücken war alles, was sie aufrecht hielt, als Cabals sinnlicher Mund sich auf ihren legte. Er verzauberte sie, dieser Mann, den sie verabscheuen sollte. Dieser beeindruckende Krieger, vor dem sich zu fürchten sie jeden Grund hatte, verführte sie stattdessen, raubte ihr den Willen und nahm ihr alle Kraft, ihm zu widerstehen. Unerklärlicherweise empfand sie in seinen Armen alles andere als Angst.
Sie wäre in seinem Bann völlig verloren gewesen, wäre in diesem Moment nicht ein Vogelschwarm über sie hinweggeflogen. Er stieg aus den Wipfeln auf und flüchtete in einem Wirbel aus raschelndem Laub und schlagenden Flügeln aus dem Wäldchen. Dann vernahm Emmalyn ein leises Geräusch in der Nähe.
Cabal hatte es auch gehört. Er zog sich leicht zurück und verharrte reglos, legte dabei den Finger auf die Lippen, bedeutete Emmalyn zu schweigen. Er neigte den Kopf und lauschte, so wie sie auch, auf ihre jetzt stille Umgebung. Emmalyns Herz raste, ihre Lippen prickelten noch von Cabals kurzem Kuss, aber er schien unbeeindruckt davon zu sein. Ganz und gar Soldat, trat er einen Schritt von ihr zurück, und seine Hand schloss sich um den Griff seines Schwertes.
Zwischen den Bäumen zu ihrer Linken war wieder ein Rascheln zu hören, das näher kam. Ein Zweig schnappte zurück, dann ein weiterer. Es klang nach den Bewegungen eines zweibeinigen Eindringlings und nicht nach denen eines harmlosen Geschöpfes des Waldes.
Cabal spannte sich an, als die Geräusche lauter wurden, sein Schwert fuhr zischend aus der Scheide, ehe Emmalyn die Gelegenheit hatte, einen angstvollen Atemzug zu tun. Beschützend schob er sie hinter sich. »Wer ist da?«, fragte er laut. »Gebt Euch zu erkennen.«
Niemand antwortete, aber die raschelnden Schritte näherten sich immer mehr. Eine kleine Gestalt tauchte im hohen Farnkraut auf und kam näher. Cabal wollte vorgehen, um sie zu töten, aber Emmalyn packte ihn am Arm. »Wartet«, raunte sie.
Ein Junge von vielleicht sechs Jahren, schmutzig und zerzaust, tauchte
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