Der dunkle Ritter (German Edition)
zwischen den Bäumen auf. Er aß mit größter Wonne einen Apfel – bis er Cabal und Emmalyn bemerkte. Ein Blick auf das gezogene glänzende Schwert, und der angebissene Apfel fiel zu Boden. Sein Mund stand in stummem Schrecken offen, und er wandte sich ab, um zu fliehen, aber Cabal war schneller. Er machte einen Satz nach vorn und packte den Jungen am Kragen seiner zerrissenen, fleckenübersäten Tunika.
Der fadenscheinige Stoff riss an der Schulter unter dem festen Zugriff, was dem Jungen fast die Möglichkeit zur Flucht gab. Er buckelte und wand sich, war ein Wirrwarr aus dünnen Armen und Beinen und fliegendem überlangem Haar, doch Sir Cabal hielt ihn mit einer Hand fest, während er hastig sein Schwert zurück in die Scheide schob. Er packte den Jungen an den Schultern und hielt ihn trotz seiner verzweifelten Gegenwehr in seinen Armen gefangen.
»Passt auf, Mylord«, mahnte Emmalyn. »Seht Ihr denn nicht, dass er Angst hat?«
»Das sollte er auch.« Cabals Antwort klang barsch. »Was für ein Dummkopf bist du, Bursche, dass du nicht antwortest, wenn man dir befiehlt, dich zu erkennen zu geben? Ich hätte dich entzweihauen können.«
Das Kind ignorierte den Zorn des Ritters und unternahm einen weiteren vergeblichen Versuch, aus seinem Griff zu entkommen, während Emmalyn näher kam, um sich den Jungen genauer anzusehen. Sie musste die Hand auf den Mund legen, um einen Ausruf des Mitleids zu unterdrücken. Die arme Kreatur roch nach Vernachlässigung, angefangen bei dem vor Schmutz starrenden Gesicht und den verdreckten Kleidern bis hin zu dem zitternden mageren Körper.
»Er gehört nicht zu den Leuten von Fallonmour«, stellte Emmalyn fest. Sie hatte den Jungen nie zuvor gesehen und war sicher, dass keiner ihrer Leute seine Kinder jemals so vernachlässigen würde.
»Also der Welpe eines der Diebe.« Sir Cabals Stimme klang hart und unnachgiebig. »Nicht mehr damit zufrieden, im Schutz der Nacht zu stehlen, Bursche?«
»Er ist ein Kind, Mylord. Ein hungriges Kind, so wie er aussieht.« Emmalyn kauerte sich vor den Jungen und ignorierte Cabals knurrige Ermahnung, aus Vorsicht einen Abstand einzuhalten.
»Wie heißt du?«, fragte sie den Jungen und strich ihm eine verfilzte braune Haarsträhne aus der Stirn. Sie versuchte es wieder, dieses Mal auf Englisch, und obwohl er die Worte zu verstehen schien, antwortete er nicht, sondern sah sie nur stumm aus großen verzweifelten Augen an. »Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie ihm für den Fall, dass er sie tatsächlich verstand. »Wir tun dir nichts Böses.«
Sie schob das lange Haar vor seinem rechten Ohr zur Seite und holte tief Luft, zuckte vor Mitleid zusammen. An seiner Schläfe und hoch auf seiner eingefallenen Wange befand sich eine schlimme, faustgroße rote Narbe. Es gab noch weitere Narben, hässlicher als diese, auf seinem Nacken und auf seinen Schultern. »Guter Gott«, hauchte Emmalyn mit wehem Herzen. »Dieses Kind ist ganz fürchterlich geschlagen worden.«
Sie empfand einen mütterlichen Instinkt, dieses misshandelte verwahrloste Kind zu trösten, und streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. Der Junge zuckte zusammen, schreckte zurück und versuchte erneut, sich zu befreien. Wie ein verzweifeltes Kaninchen, das in einer Falle gefangen saß, schlug und trat er um sich, und Emmalyn fürchtete, dass er sich schließlich noch selbst verletzen würde, wenn Cabal seinen eisernen Griff nicht lockerte.
»Lasst ihn los, My –«
Sie hatte sich erhoben, während sie es sagte, doch plötzlich, ohne Warnung, trat der Junge zu. Sein derb beschuhter Fuß traf Emmalyn direkt am Schienbein und brachte sie zu Fall.
Mit einem wütenden Schnauben hielt Cabal seinen Gefangenen unter einem Arm gefangen, während er mit der anderen Hand versuchte, Emmalyn aufzufangen. Doch sie landete im Gras auf ihrem Allerwertesten und schüttelte den Kopf. Sie verspürte, abgesehen von dem sich bildenden blauen Fleck auf ihrem Bein, keinen Schmerz, aber sie befürchtete, dass Cabal den Jungen für diesen Angriff schlagen würde.
»Bitte die Lady um Entschuldigung, Junge!«, befahl er mit einer Stimme, die sogar Emmalyn aufspringen ließ. Er schüttelte ihn wütend. »Entschuldige dich, du respektloser Hundesohn!«
Das Kind keuchte jetzt, sein schmaler Brustkorb bebte vor Furcht, aber es gab noch immer keinen Ton von sich. Nicht einmal einen Aufschrei, obgleich der sicherlich harte Griff Sir Cabals, der sich ihm in die Schulter grub, sehr schmerzhaft sein
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