Der dunkle Schirm
zwischen den Dimensionen, das neben seinem Bett stand und missbilligend auf ihn herabblickte.
Das Geschöpf hatte zahllose Augen, die gleichmäßig über seine Körperoberfläche verteilt waren, trug ultramoderne, teuer aussehende Kleidung und ragte ungefähr zweieinhalb Meter hoch auf. Außerdem hielt es eine gewaltige Schriftrolle in der Hand.
»Du wirst mir meine Sünden vorlesen«, sagte Freck.
Das Geschöpf nickte und brach das Siegel der Schriftrolle.
Freck, hilflos auf seinem Bett liegend, fügte hinzu: »Und das wird hunderttausend Stunden dauern.«
Das Geschöpf von irgendwo zwischen den Dimensionen bedachte ihn mit einem scharfen Blick aus seinen unzähligen Augen und sprach: »Wir sind nicht länger im weltlichen Universum. Kategorien wie ›Raum‹ und ›Zeit‹, die den Niederungen materiellen Seins angehören, treffen auf dich nicht länger zu. Du bist auf die Ebene transzendenten Seins erhoben worden. Und deine Sünden werden dir vorgelesen werden – in alle Ewigkeit. Die Liste wird nie enden.«
Vertrau nie einem Dealer, dachte Freck und wünschte sich, die letzte halbe Stunde seines Lebens ungeschehen machen zu können.
Tausend Jahre später lag er immer noch da, auf seinem Bett, das Ayn-Rand-Buch und den Brief an Exxon auf der Brust, und hörte ihm dabei zu, wie es ihm seine Sünden vorlas. Sie waren jetzt bei der ersten Klasse angelangt – damals war er sechs Jahre alt gewesen.
Zehntausend Jahre später erreichten sie die sechste Klasse.
Das Jahr, in dem er die Masturbation entdeckt hatte.
Er schloss die Augen, aber trotzdem konnte er immer noch das vieläugige, zweieinhalb Meter große Wesen mit der endlosen Schriftrolle sehen, das las und las und las.
»Und als Nächstes…«, sagte es gerade.
Charles Freck dachte: Wenigstens war der Wein gut.
Zwölf
Zwei Tage später beobachtete Fred verwirrt auf dem Schirm einer der Holo-Kameras, wie Robert Arctor offensichtlich wahllos ein Buch aus dem Regal im Wohnzimmer seines Hauses nahm. Ein Versteck für Dope?, fragte sich Fred und zoomte näher heran. Oder hatte Arctor sich darin vielleicht eine Telefonnummer oder eine Adresse notiert? Er konnte auf den ersten Blick sehen, dass Arctor das Buch nicht hervorgezogen hatte, um darin zu lesen – er hatte ja gerade eben erst das Haus betreten und trug immer noch seinen Mantel. Eine eigentümliche Aura umgab ihn, er wirkte angespannt und ausgelaugt zugleich, eine Art abgestumpfte Hochspannung.
Der Zoom zeigte, dass sich auf der von Arctor aufgeschlagenen Seite das Farbfoto eines Mannes befand, der an der rechten Brustwarze einer Frau knabberte. Beide waren nackt und die Frau hatte offensichtlich gerade einen Orgasmus, ihre Augen halb geschlossen, ihr Mund in einem unhörbaren Stöhnen geöffnet. Vielleicht brauchte er das, um sich aufzugeilen, dachte Fred. Doch Arctor schenkte dem Bild keine große Aufmerksamkeit, stattdessen rezitierte er zu Freds Verblüffung mit knarrender Stimme einen höchst merkwürdigen Text, teilweise in Deutsch, offenbar, um den zu verwirren, der ihn zufällig belauschen sollte. Vielleicht nahm er auch an, dass seine Mitbewohner irgendwo im Haus waren, und wollte sie auf diese Weise ins Wohnzimmer locken.
Aber niemand tauchte auf. Luckman – das wusste Fred, weil er sich schon längere Zeit vor den Schirmen aufhielt – hatte sich mit einer Hand voll Reds und einer Ladung Substanz T voll gepumpt und war, vollständig angezogen, im Schlafzimmer bewusstlos geworden, nur ein paar Schritte von seinem Bett entfernt. Und Barris war überhaupt nicht zu Hause.
Was tut Arctor da bloß?, fragte sich Fred und notierte die Kennziffer dieses Bandabschnitts. Er wird immer seltsamer. Jetzt verstehe ich erst, was der Informant, der wegen Arctor anrief, gemeint hat.
Oder, überlegte er, könnten die Sätze, die Arctor da laut gesprochen hat, der akustische Auslöser für irgendeine elektronische Apparatur sein, die er im Haus installiert hat? An – aus. Vielleicht erzeugt diese Apparatur sogar ein Interferenzfeld, das die Kameras stört und damit unsere Überwachungstätigkeit. Aber er zweifelte daran. Zweifelte daran, dass Arctors Handlungsweise überhaupt rational erklärbar war oder einen Zweck oder eine Bedeutung hatte – außer für Arctor selbst.
Der Typ ist verrückt, dachte er. Völlig verrückt. Seit dem Tag, als er die Schäden an seinem Cephskop entdeckte – spätestens aber seit dem Tag, als er von dem Ausflug heimkam, auf dem er merkte, dass jemand an
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