Der dunkle Schirm
kennen lernen. Ich meine, bewusst. Einen, bei dem ich mit Bestimmtheit weiß, dass er einer ist.«
»Tja, mit Bestimmtheit wirst du das erst wissen, wenn er dir die Handschellen anlegt.«
»Was mich interessieren würde – haben Rauschgiftermittler eigentlich Freunde? Wie sieht ihr Leben aus? Wissen ihre Ehefrauen Bescheid?«
»Rauschgiftermittler haben keine Ehefrauen«, warf Luckman ein. »Sie leben in Höhlen und liegen unter geparkten Wagen und beobachten dich, wenn du vorübergehst. Wie Trolle.«
»Und was essen sie?«, fragte Arctor.
»Menschen«, sagte Barris.
»Wie kann ein Typ das bloß machen?«, murmelte Arctor. »Sich als Rauschgiftermittler ausgeben?«
»Was?«, riefen Barris und Luckman praktisch gleichzeitig.
»Scheiße, ich bin heute echt ausgeklinkt.« Arctor grinste schief. »Sich als Rauschgiftermittler ausgeben – wow.« Er schüttelte den Kopf.
Luckman starrte ihn an. »Sich als Rauschgiftermittler ausgeben? Sich als Rauschgiftermittler ausgeben?«
»Ich glaub, mein Gehirn ist heute eine einzige Matsche«, sagte Arctor. »Ich hau mich besser in die Falle.«
Fred stoppte das Band – die Schirme wurden schwarz, der Ton erstarb.
»Machst 'ne Pause, Fred?«, rief einer der Jedermann-Anzüge zu ihm hinüber.
»Yeah. Ich bin müde. Dieser Scheiß macht dich nach ner Weile echt fertig.« Fred stand auf und zündete sich eine Zigarette an. »Ich kapier nicht die Hälfte von dem, was sie sagen, so müde bin ich. Und ich hab’s satt, ihnen zuzuhören.«
»Wenn man selbst dabei ist«, sagte der Jedermann-Anzug, »ist es längst nicht so schlimm, richtig? Ich nehm doch an, dass du dabei warst – dass du einer aus dieser Gruppe bist, in deiner Tarnidentität. Stimmt’s?«
»Nein, ich würde nie mit Spinnern wie denen da rumhängen. Die reden doch nur immer wieder das Gleiche, wie senile alte Opas. Warum machen sie das eigentlich, dauernd nur rumsitzen und Scheiß labern?«
»Warum machen wir, was wir machen? Im Grunde genommen ist das doch auch immer wieder das Gleiche, wenn man’s sich mal genau betrachtet.«
»Aber wir müssen es machen – es ist unser Job. Wir können es uns nicht aussuchen.«
»Wie senile alte Opas. Die können sich das auch nicht aussuchen.«
Sich als Rauschgiftermittler ausgeben, dachte Fred. Was bedeutet das? Keiner weiß es… So tun, als sei man ein Hochstapler. Einer, der unter geparkten Wagen lebt und Dreck frisst. Kein weltberühmter Chirurg oder Schriftsteller oder Politiker, niemand, um den sich die Fernsehanstalten reißen. Das ist kein Leben, das irgendjemand, der noch bei Verstand ist…
Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt,
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ja, das trifft es ganz genau, dachte er. Dieses Gedicht. Luckman muss es mir mal vorgelesen haben – oder vielleicht haben wir es in der Schule durchgenommen. Komisch, was da manchmal aus den Tiefen der Erinnerung wieder an die Oberfläche kommt. Was das Gehirn so alles speichert.
Arctors verdrehte Worte wollten ihm nicht aus dem Kopf gehen, obwohl er doch das Band schon längst gestoppt hatte. Ich wünschte, ich könnte sie vergessen, dachte er. Ich wünschte, ich könnte – wenigstens für eine Zeit lang – ihn vergessen.
»Irgendwie«, sagte er, »weiß ich manchmal, was sie im nächsten Augenblick sagen werden. Noch bevor sie es aussprechen. Ihre genauen Worte.«
»Das nennt man déjà vu«, nickte einer der Jedermann-Anzüge. »Pass mal auf, ich gebe dir ’n paar gute Tipps. Spul das Band immer einen längeren Aufnahmezeitraum vor, also nicht nur eine Stunde, sondern, sagen wir mal, sechs Stunden. Wenn sich da nichts Bemerkenswertes ereignet, dann spulst du es zurück – bis du auf etwas stößt. Rückwärts, verstehst du, nicht vorwärts. Auf diese Weise kommst du nicht in ihren Rhythmus, du schwimmst sozusagen gegen den Strom. Sechs oder auch acht Stunden vorwärts, dann in großen Sprüngen zurück… Du wirst den Dreh bald raushaben, ein Gespür dafür kriegen, ob sich in all dem Nichts etwas Verwertbares versteckt.«
»Du wirst eigentlich gar nicht richtig zuhören«, ergänzte ein anderer Jedermann-Anzug. »Bis du auf etwas stößt. Wie eine Mutter, wenn sie schläft – nichts kann sie aufwecken, nicht einmal ein vorbeifahrender Lastwagen, bis sie ihr Baby weinen hört. Das weckt sie, das erregt ihre Aufmerksamkeit. Ganz egal, wie schwach das Weinen sein mag. Das Unterbewusstsein arbeitet selektiv
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