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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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kriegen, weder Arctor noch Luckman noch Jerry Fabin noch Charles Freck. Und was am schlimmsten ist, auch Donna Hawthorne nicht. Ich werde keinen meiner Freunde wiedersehen, für alle Ewigkeit. Amen.
    Donna. Ihm fiel ein Lied ein, das sein Großonkel vor Jahren gesungen hatte, auf Deutsch: Ich seh, wie ein Engel im rosigen Duft sich tröstend zur Seite mir stellet. Sein Großonkel hatte ihm die Zeilen übersetzt und ihm erklärt, dass mit dem Engel die Frau gemeint sei, die er liebte, die Frau, die ihn rettete. Im Lied, nicht im wirklichen Leben. Nun war sein Großonkel tot und es war lange her, dass er diese Worte gehört hatte. Die Stimme seines in Deutschland geborenen Großonkels, der im Haus sang oder laut las.
     
    Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
    Öd ist es um mich her. Nichts lebet außer mir…
     
    Auch wenn mein Gehirn nicht ausgebrannt ist, erkannte er, wenn ich später einmal wieder im Dienst sein werde, wird jemand anders zu ihrer Überwachung eingesetzt worden sein. Oder sie werden tot sein oder im Knast oder in staatlichen Nervenkliniken oder einfach nur in alle Winde verstreut. Ausgebrannt und zerstört, so wie ich, unfähig, zu checken, was hier eigentlich läuft. Für mich ist das alles irgendwie zu einem Ende gekommen. Ich habe, ohne es zu wissen, längst adieu gesagt.
    Alles, was ich irgendwann einmal tun kann, ist, die Holo-Bänder wieder abzuspielen – um mich zu erinnern.
    »Ich sollte ins Kontrollzentrum gehen…« Er blickte sich um und verstummte. Ich sollte ins Kontrollzentrum gehen und die Bänder klauen. Solange ich noch dazu in der Lage bin. Später werden sie vielleicht gelöscht, jedenfalls werde ich keinen Zugang mehr zu ihnen haben. Scheiß auf die Abteilung – sie können die Materialkosten ja mit meinem ausstehenden Gehalt verrechnen. Aufgrund jeder nur möglichen ethischen Erwägung gehören mir die Bänder von diesem Haus und den Leuten darin.
    Jetzt… jetzt sind diese Bänder alles, was mir geblieben ist, alles, was ich hoffen kann mitzunehmen.
    Doch zum Abspielen der Bänder brauche ich das komplette holografische Projektionssystem aus dem Kontrollzentrum. Ich werde es demontieren und Stück für Stück wegkarren müssen. Die Kameras und die Aufzeichnungskomponenten werde ich ja nicht benötigen – nur die Abspielvorrichtung und die Schirme. Ja, besonders die Schirme. Sie werden mich zwar auffordern, den Schlüssel abzugeben, aber ich kann mir ein Duplikat davon machen lassen, es ist ja ein ganz gewöhnlicher Schlüssel. Ich kann es schaffen! Er fühlte sich gleich viel wohler, als er das begriff, in seinem Innern spürte er grimmige Entschlossenheit und eine neue innere Stärke. Und ein wenig Zorn. Auf sie alle. Und Befriedigung darüber, wie gut alles laufen würde.
    Dann dachte er: Wenn ich allerdings auch die Kameras und die Aufzeichnungsgeräte und das ganze andere Zeug klauen würde, könnte ich die Überwachung fortführen. Auf eigene Faust. Könnte die Kontrolle aufrechterhalten, wie ich es auch bisher getan habe. Zumindest für eine Weile. Aber schließlich ist alles im Leben nur für eine Weile – wie das hier beweist.
    Die Überwachung muss erhalten bleiben, das ist das Wichtigste! Und wenn möglich, durch mich. Ich sollte bis in alle Ewigkeit beobachten, beobachten und auswerten, selbst wenn ich nie irgendetwas unternehme, selbst wenn ich einfach nur dasitze und überwache, ohne dass es jemand mitbekommt. Das allein ist wichtig – allein die Tatsache, dass ich an meinem Platz bin und beobachte, was geschieht.
    Nicht um ihretwillen. Um meinetwillen.
    Nun, natürlich auch um ihretwillen. Falls etwas passiert, so wie damals, als Luckman sich verschluckte. Wenn jemand zusieht – wenn ich zusehe –, kann ich Hilfe holen. Um Hilfe telefonieren. Ihnen Beistand leisten. Den richtigen Beistand. Sonst könnten sie sterben – und niemand würde sich auch nur einen Scheißdreck darum kümmern.
    Irgendjemand muss doch in so erbärmliche kleine Leben wie die ihren eingreifen. Oder wenigstens ihre traurigen Auftritte und Abgänge registrieren. Registrieren und, wenn möglich, aufzeichnen, damit man sich an sie erinnert und ihrer gedenkt. An einem anderen, besseren Tag, später mal, wenn die Menschen begreifen.
     
    In Hanks Büro saß er mit Hank, einem uniformierten Beamten und dem schwitzenden, grinsenden Jim Barris zusammen, während auf dem Tisch vor ihnen eine von Barris’ Kassetten lief. Ein zweites Gerät zeichnete parallel auf, damit für die

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