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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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dann erkennt er nicht, dass er selbst das ist. Und das, obwohl er doch schon viele Male sein Spiegelbild gesehen hat, in Flüssen oder auf der Oberfläche metallener Gegenstände. Weil sein Spiegelbild nämlich seitenverkehrt ist und die Fotografie nicht.«
    »Er ist nur das seitenverkehrte, zurückgespiegelte Abbild gewohnt und denkt, er sehe so aus.«
    »Ebenso kommt häufig vor, dass eine Person, die ihre eigene Stimme vom Tonband hört…«
    »Das ist etwas ganz anderes. Das hat mit der Resonanz im Sinus…«
    »Vielleicht seid ihr Scheißkerle es«, rief Fred, »die das Universum verkehrt sehen, wie in einem Spiegel. Vielleicht sehe ich es richtig.«
    »Sie sehen es auf beide Arten.«
    »Und welche ist nun…«, begann Fred.
    »Früher wurde bisweilen die Ansicht vertreten, dass man nur ›Spiegelungen‹ der Wirklichkeit sehe. Nicht die Wirklichkeit selbst. Der grundlegende Fehler einer solchen Spiegelung ist aber nicht, dass sie nicht wirklich ist, sondern dass sie umgekehrt ist. Ich frage mich…« In der Stimme des Beamten schwang ein merkwürdiger Unterton mit. »Parität. Das wissenschaftliche Prinzip der Gleichgewichtigkeit. Universum und gespiegeltes Bild – und aus irgendeinem Grund halten wir das Letztere für das Erstere… weil es uns an bilateraler Parität mangelt.«
    »Wohingegen eine Fotografie das Fehlen der bilateralen hemisphärischen Parität kompensieren kann. Sie ist nicht das Ding selbst, aber sie ist auch nicht verkehrt, sodass fotografische Bilder keine bloßen Abbilder sind, sondern das Ding selbst in ihnen vorhanden ist. Durch eine Umkehrung der Umkehrung.«
    »Aber auch ein Foto kann durch einen unglücklichen Zufall umgekehrt werden, nämlich wenn man das Negativ falsch herum einlegt und seitenverkehrt belichtet – man kann das normalerweise nur erkennen, wenn Schrift auf dem Bild ist, nicht am Gesicht eines Menschen. Man könnte zwei Abzüge von einem beliebigen Menschen haben, einen seitenverkehrten und einen korrekten, und jemand, der diesem Menschen nie persönlich begegnet ist, könnte nicht feststellen, welches das richtige Bild ist – er könnte nur sehen, dass sie sich voneinander unterscheiden und nicht zur Deckung gebracht werden können.«
    »Merken Sie jetzt, Fred, wie komplex es ist, den Unterschied zwischen einem linken Handschuh und…«
    »Und alsbald wird sich das Wort erfüllen, das da geschrieben steht«, sagte nun eine Stimme, die womöglich nur Fred hören konnte. »Der Tod wird aufgezehrt. Im Sieg. Denn sobald die Schrift rückwärts erscheint, wirst du wissen, was Illusion ist und was nicht. Die Verwirrung endet, und der Tod, der letzte Feind, Substanz Tod, wird nicht hinuntergeschluckt, sondern aufgezehrt – im Sieg. Siehe, ich verkünde dir nun das heilige Geheimnis: Wir werden nicht alle im Tode ruhen.«
    Das Geheimnis, dachte er. Die Offenbarung. Eines Geheimnisses. Eines geheiligten Geheimnisses. Wir werden nicht sterben.
     
    Die Spiegelbilder werden erlöschen.
    Und das wird schnell geschehen.
    Wir werden alle verwandelt sein, wieder umgekehrt,
    auf die richtige Weise. In einem Augen-Blick!
     
    Weil, dachte er, während er zusah, wie die Beamten ihre Schlussfolgerungen notierten, wir jetzt verkehrt sind, ganz beschissen nach rückwärts gekehrt, jeder Einzelne von uns und jedes verdammte Ding und auch der Raum und auch die Zeit. Nur wie lange dauert es wohl, wenn ein Abzug gemacht wird, ein Kontaktabzug, und der Fotograf entdeckt, dass er das Negativ falsch eingelegt hat, wie lange dauert es wohl, es zu wenden? Es wieder umzukehren, sodass es so ist, wie es eigentlich sein sollte?
    Den Bruchteil einer Sekunde.
    Jetzt begreife ich, was diese Bibelstelle bedeutet: Durch ein dunkles Glas. Und dennoch ist meine Wahrnehmung im Arsch wie eh und je. Wie sie sagen: Ich begreife es, aber ich kann mir nicht selber helfen.
    Da ich beide Formen auf einmal sehe – die, die der Norm entspricht, und die, die ihr nicht entspricht –, bin ich womöglich der erste Mensch in der Geschichte, für den beides völlig gleichwertig ist und der damit einen flüchtigen Blick darauf erhascht, wie es sein wird, wenn alles richtig ist. Obwohl ich natürlich auch das andere wahrnehme, das Gewöhnliche. Und was davon ist was?
    Was ist verkehrt und was nicht?
    Wann sehe ich eine Fotografie, wann ein Spiegelbild?
    Und wie hoch ist mein Krankengeld oder mein Ruhestandsgehalt oder meine Invalidenrente, wenn die mich hier trockenlegen?
    Schon spürte er ein ungeheures Entsetzen,

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