Der dunkle Schirm
gefallen, in alle Ewigkeit auf eine Bierdose zu starren? Vielleicht wär das ja gar nicht mal so schlimm. Zumindest müsste man sich davor nicht fürchten.«
Vor dem Abendessen, das sie im Speiseraum zu sich nahmen, hatten sie Diskussionsstunde. Verschiedene philosophische Konzepte wurden von verschiedenen Mitgliedern des Betreuerstabes auf eine Tafel geschrieben und dann gemeinsam diskutiert.
Er saß mit den Händen im Schoß da, betrachtete den Fußboden und lauschte, wie sich die große Kaffeemaschine aufheizte – sie machte Blub-blub und das Geräusch ängstigte ihn.
»Das Lebende gibt ununterbrochen seine Eigenschaften an das Nichtlebende ab und umgekehrt.«
Sie saßen im Raum verstreut auf Klappstühlen und diskutierten das. Das Konzept schien ihnen vertraut zu sein. Offensichtlich waren solche Sätze Teil der Denkweise des Neuen Pfades, wurden vielleicht sogar auswendig gelernt, damit man wieder und wieder über sie nachdenken konnte. Blub-blub.
»Das Nichtlebende drängt stärker vorwärts als das Lebende.«
Auch darüber sprachen sie. Blub-blub. Das Geräusch, das von der Kaffeemaschine ausging, wurde lauter und lauter und ängstigte ihn immer mehr, doch er bewegte sich nicht und sah auch nicht hinüber; er saß nur da, an seinem Platz, und lauschte. Es war schwierig zu hören, was die anderen sagten – die Maschine war so laut.
»Wir haben zu viel von dem in uns, was das Nichtlebende vorwärts treibt. Und der Austausch… Kann nicht mal jemand aufstehen und nachsehen, was mit dieser verdammten Kaffeemaschine los ist?«
Es gab eine Unterbrechung, während jemand die Kaffeemaschine untersuchte. Er saß da, starrte nach unten, wartete.
»Ich schreibe das jetzt noch mal auf: Wir tauschen zu viel unseres passiven Lebens gegen die äußere Wirklichkeit ein. «
Sie diskutierten das. Die Kaffeemaschine verstummte – und dann trotteten sie wie eine Herde Schafe hinüber, um sich Kaffee zu holen.
»Möchtest du nicht auch etwas Kaffee?« Eine Stimme hinter ihm, die ihn sanft berührte. »Ned? Bruce? Wie heißt er noch mal – Bruce?«
»Okay.« Er stand auf und folgte ihnen zur Kaffeemaschine. Er wartete geduldig, bis er an der Reihe war. Sie sahen ihm zu, wie er Milch und Zucker in seine Tasse tat, und sie sahen ihm zu, wie er zu seinem Stuhl, demselben wie vorher, zurückkehrte – er hatte ihn sich gut gemerkt, damit er ihn auch wiederfand, um weiter zuhören zu können. Der warme Kaffee, der Dampf, gab ihm ein angenehmes Gefühl.
»Aktivität bedeutet nicht notwendigerweise Leben. Quasare sind aktiv. Ein Mönch, der meditiert, ist lebendig.«
Er betrachtete den leeren Becher, es war ein Porzellanbecher. Er drehte ihn um, entdeckte einen Aufdruck auf dem Boden und sah, dass die Glasur gesplittert war. Der Becher war offenbar sehr alt, aber er war in Detroit hergestellt worden.
»Kreisförmige Bewegung ist die toteste Form des Universums.«
Eine andere Stimme sagte: »Es ist Zeit.«
Er wusste die Antwort darauf. Zeit ist rund.
»Okay, wir müssen jetzt Schluss machen. Will irgendjemand noch eine abschließende Bemerkung machen?«
»Man muss dem Weg des geringsten Widerstands folgen – das ist die Grundregel, wenn man überleben will. Man muss folgen, nicht führen.«
Eine andere, ältere Stimme sagte: »Ja, die, die folgen, überleben den, der führt. Wie bei Jesus Christus. Nicht umgekehrt.«
»Wir sollten jetzt lieber essen, weil Rick neuerdings ab halb sechs nichts mehr ausgibt.«
»Sprecht während des Spiels darüber, nicht jetzt.«
Stühle kreischten, knarrten. Er stand ebenfalls auf, trug wie die anderen seinen Becher zum Tablett und stellte sich mit ihnen in einer langen Reihe auf. Er konnte kalte Kleidungsstücke um sich herum riechen, gute Gerüche, aber eben kalt. Er dachte: Es klingt so, als würden sie sagen, passives Leben sei gut. Aber so etwas wie passives Leben gibt es doch gar nicht. Das ist ein Widerspruch in sich.
Er fragte sich, was das Leben war, was es bedeutete. Vielleicht verstand er es nur nicht.
Ein großes Spendenpaket mit Kleidungsstücken war angekommen. Etliche Leute standen mit Haufen von Kleidern auf dem Arm herum, einige hatten sich sogar schon Hemden angezogen, um sie anzuprobieren und Komplimente einzuheimsen.
»Hey, Mike, du siehst ja echt scharf aus.«
In der Mitte stand ein untersetzter Mann mit lockigem Haar und einem Boxergesicht und fummelte stirnrunzelnd an seinem Gürtel herum. »Wie funktioniert denn das hier? Ich kapier einfach
Weitere Kostenlose Bücher