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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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nicht, wie man ihn am Verrutschen hindert. Und warum geht er jetzt auf einmal nicht mehr auf?« Er hatte sich einen ziemlich breiten, schnallenlosen Gürtel mit Metallringen ausgesucht, wusste aber nicht, wie man die Ringe einklinkte. Verzweifelt blickte er sich um. »Ich glaube, die haben mir einen gegeben, mit dem sonst keiner klarkommt.«
    Er trat hinter ihn, griff um ihn herum und zog die Gürtelschleife durch die Ringe.
    »Danke«, sagte Mike. Dann wühlte er sich durch einen Stapel von Hawaiihemden, die Lippen geschürzt. »Wenn ich heirate, zieh ich eins davon an.«
    »Hübsch«, erwiderte er.
    Mike schlenderte ans Ende des Raumes, wo zwei Frauen standen. Sie lächelten. Er hielt sich ein weinrotes Hemd mit Blumenmuster vor die Brust und sagte: »Ich geh heut aus, in die Stadt.«
    »Okay, Leute, es gibt Essen«, rief der Direktor des Rehabilitationszentrums in diesem Moment. Seine Stimme klang so kraftvoll wie immer. Er winkte ihm zu. »Na, wie geht’s, Bruce?«
    »Gut.«
    »Klingt, als ob du dich erkältet hättest.«
    »Ja, das kommt vom Entzug. Könnte ich nicht doch ein bisschen Dristan oder…«
    »Keine Chemikalien. Nichts. Jetzt aber los. Dass du was in den Magen kriegst. Was macht dein Appetit?«
    »Besser.« Er folgte dem Direktor. Von den Tischen aus lächelten die anderen ihn an.
     
    Nach dem Essen saß er auf halber Höhe der breiten Treppe, die in den zweiten Stock führte. Gerade fand eine Mitarbeiterbesprechung statt. Er saß da, bis sie zu Ende war. Dann tauchten die Mitarbeiter wieder auf und strömten in die Halle.
    Er spürte, dass sie ihn ansahen, vielleicht sprachen ihn auch einige an. Er saß auf den Stufen, vornübergebeugt, die Arme um sich gelegt, und starrte und starrte – auf den dunklen Teppich vor seinen Augen.
    Keine Stimmen mehr.
    »Bruce?«
    Er regte sich nicht.
    »Bruce?« Eine Hand berührte ihn.
    Er sagte nichts.
    »Bruce, komm mal mit in den Gemeinschaftsraum. Eigentlich müsstest du ja schon auf deinem Zimmer sein und im Bett liegen, aber ich möchte mit dir sprechen, hörst du?« Mit einem Wink forderte Mike ihn auf, ihm zu folgen. Also begleitete er Mike die Treppe hinunter und in den Gemeinschaftsraum, der jetzt leer war. Als sie dort waren, schloss Mike die Tür.
    Er ließ sich in einen Sessel fallen und bedeutete ihm, sich gegenüber zu setzen. Er schien müde zu sein, dicke Ringe lagen um seine kleinen Augen und er rieb sich die Stirn.
    »Ich bin seit halb sechs auf den Beinen«, sagte er.
    Ein Klopfen, die Tür ging einen Spaltbreit auf.
    Mike brüllte: »Ich möchte nicht, dass irgendwer hier hereinkommt. Wir unterhalten uns. Hört ihr?«
    Gemurmel. Die Tür schloss sich wieder.
    Mike sah ihn an. »Weißt du, du solltest lieber dein Hemd ein paar Mal am Tag wechseln. Ist ja furchtbar, wie du schwitzt.«
    Er nickte.
    »Woher kommst du eigentlich?«
    Er sagte nichts.
    »Von jetzt an hältst du dich an mich, wenn’s dir schlecht geht. Ich hab das Gleiche durchgemacht, vor ungefähr anderthalb Jahren. Sie haben mich immer im Wagen durch die Gegend gefahren. Andere vom Personal. Hast du schon Eddie kennen gelernt? Das große, dürre Handtuch, das immer alle Leute fertig macht? Der hat mich acht Tage lang pausenlos durch die Gegend kutschiert. Hat mich nie allein gelassen.« Unvermittelt brüllte Mike wieder: »Wollt ihr wohl endlich draußen bleiben? Wir sind hier drin und reden. Geht und schaut fern.« Seine Stimme wurde leiser, er wandte sich wieder seinem Gegenüber zu. »Manchmal muss man das tun – jemanden nie allein lassen.«
    »Verstehe.«
    »Bruce, gib Acht, dass du dir nicht das Leben nimmst.«
    »Ja, Sir.« Er starrte auf den Boden.
    »Nenn mich nicht Sir!«
    Er nickte.
    »Warst du bei der Armee, Bruce? Hat’s daran gelegen? Bist du deswegen bei dem Zeug hängen geblieben?«
    »Nein.«
    »Spritzt du oder schluckst du Tabletten?«
    Er gab nicht das geringste Geräusch von sich.
    »Ich selbst hab zehn Jahre im Knast gesessen. Einmal hab ich miterlebt, wie sich in unserem Zellentrakt acht Typen an einem Tag die Kehle durchgeschnitten haben. Wir mussten mit den Füßen in der Toilette schlafen, so klein waren unsere Zellen. Genau das ist es, was ein Gefängnis ausmacht – du schläfst mit deinen Füßen in der Toilette. Du bist nie im Knast gewesen, oder?«
    »Nein.«
    »Andererseits hab ich Gefangene gesehen, die achtzig Jahre alt waren und froh darüber zu leben und die auch am Leben bleiben wollten. Ich erinnere mich noch genau an die Zeit, als ich auf

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