Der dunkle Schirm
Dope war und schoss – ich hab zu schießen angefangen, als ich noch ein Teenager war. Sonst hab ich mir nie was zuschulden kommen lassen. Ich hab mich nur voll geschossen und bin dann für zehn Jahre in den Bau gewandert. Ich hab so viel geschossen – Heroin und T durcheinander –, dass ich gar nicht fähig war, was anderes anzustellen, ich hab außer dem Stoff gar nichts anderes mehr wahrgenommen. Jetzt bin ich davon runter und aus dem Knast raus und lebe hier. Weißt du, was mir am meisten auffällt? Weißt du, was der Unterschied ist, den ich bemerkt hab? Ich kann jetzt die Straße entlanggehen und etwas sehen. Ich kann das Wasser hören, wenn wir in den Wald fahren – du wirst unsere anderen Einrichtungen ja bald kennen lernen, die Farmen und das alles. Ich kann die Straße entlanggehen und die Hunde und Katzen sehen. Ich hab sie früher nicht mal bemerkt. Alles, was ich gesehen hab, war der Stoff.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Und darum verstehe ich, wie du dich fühlst.«
»Es ist hart – von dem Zeug runterzukommen.«
»Jeder hier ist davon runtergekommen. Natürlich fangen einige hinterher wieder damit an. Wenn du von hier weggehen würdest, würdest du auch wieder damit anfangen. Du weißt das.«
Er nickte.
»Keiner von denen, die in diesem Heim sind, hat ein leichtes Leben gehabt. Ich will damit nicht sagen, dass dein Leben leicht gewesen ist. Eddie würde das vielleicht sagen. Er würde dir knallhart erklären, deine Probleme seien läppisch. Aber Probleme sind nie läppisch, bei niemandem. Ich sehe, wie mies du dich fühlst, ich hab mich auch mal so gefühlt. Aber jetzt geht’s mir besser. Wer ist mit dir auf dem Zimmer?«
»John.«
»Ah ja, John. Dann bist du also unten im Erdgeschoss.«
»Es gefällt mir.«
»Ja, es ist schön warm da. Du wirst wohl sehr viel frieren. Die meisten von uns tun das, ich erinnere mich noch gut dran, wie’s bei mir war. Ich hab die ganze Zeit über vor Kälte gezittert, und die Hosen hab ich mir auch voll geschissen. Aber glaub mir, du wirst das nicht noch einmal durchmachen müssen, wenn du hier im Neuen Pfad bleibst.«
»Für wie lange?«
»Für den Rest deines Lebens.«
Er hob den Kopf.
»Ich kann hier jedenfalls nicht mehr raus. Ich würde sofort wieder an der Nadel hängen. Ich hab zu viele Kumpels draußen. Ich würd wieder in die Szene einsteigen, dealen und schießen und dann zurück in den Knast wandern, aber diesmal für zwanzig Jahre. Weißt du, ich bin jetzt fünfunddreißig und heirate demnächst zum ersten Mal. Hast du Laura schon kennen gelernt? Meine Verlobte?«
Er war sich nicht sicher.
»Ein hübsches Mädchen, ziemlich stämmig. Aber gute Figur.«
Er nickte.
»Sie fürchtet sich davor, das Heim zu verlassen. Irgendwer muss sie immer begleiten. Wir gehen jetzt bald mal zusammen in den Zoo und wir nehmen den Jungen vom Direktor mit, nächste Woche, und Laura hat jetzt schon ’n höllischen Bammel. Mehr Bammel als ich.«
Schweigen.
»Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt hab? Dass ich Bammel hab, in den Zoo zu gehen?«
»Ja.«
»Ich bin noch nie in einem Zoo gewesen, jedenfalls kann ich mich nicht dran erinnern. Was macht man eigentlich in so einem Zoo?«
»Man schaut in verschiedene Käfige und Freigehege hinein.«
»Was für Tierarten gibt’s denn so?«
»Alle möglichen.«
»Wilde Tiere, glaub ich. Normalerweise wilde Tiere. Und exotische.«
»Im Zoo von San Diego haben sie fast alle wilden Tiere.«
»Die haben auch einen von diesen – wie heißen die doch gleich? Koalabären?«
»Ja.«
»Ich hab mal einen Werbespot im Fernsehen gesehen. Da kam ein Koalabär drin vor. Die hüpfen. Irgendwie erinnern die mich an Stofftiere.«
»Die Leute, die in den Zwanzigerjahren den guten alten Teddybären erfunden haben – den, mit dem die Kinder spielen –, haben den Koalabären als Vorbild genommen.«
»Wirklich? Ich hatte immer gedacht, man müsste nach Australien fahren, um einen Koalabären zu sehen. Oder sind die da jetzt ausgestorben?«
»In Australien gibt’s sie in rauen Mengen. Aber die Ausfuhr ist verboten. Egal, ob von lebenden Tieren oder von Fellen. Sie sind früher mal fast ausgerottet worden.«
»Ich bin nie weit rumgekommen – außer, wenn ich Stoff von Mexiko rauf nach Vancouver transportiert hab. Aber da hab ich immer die gleiche Route genommen und darum hab ich nie was gesehen. Ich bin einfach nur mit Vollgas durch die Gegend gedüst, ums hinter mich zu bringen. Ich fahr jetzt übrigens einen
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