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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Wagen von der Anstalt. Wenn du dich danach fühlst, ich meine, wenn du dich richtig mies fühlst, dann fahr ich dich rum. Ich werde fahren – und wir können dabei reden. Mir macht das nichts aus. Eddie und ein paar andere, die jetzt nicht mehr hier sind, haben das auch für mich getan. Mir macht’s echt nichts aus.«
    »Danke.«
    »Jetzt sollten wir uns aber in die Falle hauen. Haben sie dich schon für den Küchendienst am Morgen eingeteilt? Tische decken und so?«
    »Nein.«
    »Dann kannst du ja genauso lange pennen wie ich. Wir sehen uns dann also beim Frühstück, okay? Du setzt dich zu mir an den Tisch – und ich mach dich mit Laura bekannt.«
    »Wann wollt ihr heiraten?«
    »In sechs Wochen. Wir würden uns freuen, wenn du kommen würdest. Obwohl die Trauung natürlich hier im Gebäude sein wird und sowieso alle dran teilnehmen.«
    »Danke.«
     
    Er saß im Spiel und sie schrien auf ihn ein. Gesichter überall, schreiende Gesichter. Er senkte den Blick und starrte zu Boden.
    »Wisst ihr, was er ist? Ein Kussmäulchen!« Der Klang dieser Stimme, die noch schriller war als die anderen, ließ ihn wieder aufblicken. Inmitten der entsetzlich schreienden Fratzen ein chinesisches Mädchen, das wie ein Dämon kreischte. »Du bist ein Kussmäulchen, genau das bist du!«
    »Fick dich selbst! Fick dich selbst!«, sangen die anderen in endloser Wiederholung, und der Kreis, den sie auf dem Fußboden bildeten, schloss sich immer enger um ihn.
    Der Direktor des Zentrums, jetzt in roten Pluderhosen und rosa Pantoffeln, lächelte. Winzige Glitzeraugen, wie die eines Gespenstes. Sich vor und zurück wiegend, die Beine unter sich zusammengelegt, kein Sitzkissen.
    »Los, wir wollen endlich sehen, wie du dich selbst fickst!«
    Der Direktor schien es zu genießen, wenn er sah, wie etwas zerbrach; seine Augen glänzten vor freudiger Erregung. Wie ein tuntiger alter Schmierenkomödiant im Kreis seiner Verehrer spähte er umher und genoss. Und von Zeit zu Zeit trillerte seine Stimme, schabend und monoton, wie Metall auf Metall. Eine knarrende Türangel.
    »Kussmäulchen!«, schrie ihm das chinesische Mädchen entgegen und neben ihr flatterte ein anderes Mädchen wie ein Vogel mit den Armen und blies ihre Backen auf, plop-plop. »Hier!«, heulte das chinesische Mädchen und drehte sich um, zeigte ihm ihren Hintern. »Küss mir den Arsch, Kussmäulchen! Er möchte andere Leute küssen! Küss doch das hier, Kussmäulchen!«
    »Wir wollen endlich sehen, wie du dich selbst fickst!«, psalmodierte die Familie. »Hol dir einen runter, Kussmäulchen!«
    Er schloss die Augen, aber seine Ohren hörten weiter.
    »Du Tunte«, sagte der Direktor nun langsam zu ihm. »Du dämliches Stück Scheiße. Du Schwanz. Du Dreck. Du Arschwichser. Du…« Und so weiter.
    Seine Ohren nahmen zwar noch Geräusche auf, aber die Töne vermischten sich jetzt miteinander. Er blickte nur einmal kurz auf, als er Mikes Stimme erkannte, die sich über die anderen Stimmen erhob, weil der Lärm für einen Moment abebbte. Mike saß da und starrte ihn teilnahmslos an. Sein Gesicht war ein wenig gerötet und sein Nacken wund und geschwollen von dem zu engen Kragen seines Hemdes.
    »Bruce«, sagte Mike. »Was ist los mit dir? Was hat dich hierher gebracht? Was möchtest du uns erzählen? Kannst du uns überhaupt irgendwas über dich erzählen?«
    »Tunte!«, kreischte George, auf und ab hüpfend wie ein Gummiball. »Was warst du, du Tunte?«
    Das chinesische Mädchen kreischte: »Erzähl’s uns, du Schwanzlutscher! Wichser! Arschficker! Scheißhaufen! Pisser!«
    »Ich bin ein Auge«, sagte er dann.
    »Du Arschwichser«, knarrte der Direktor weiter. »Du Schwächling! Du Auswurf! Du Fotze!«
    Er hörte jetzt nichts mehr. Und vergaß die Bedeutung der Worte – und schließlich auch die Worte selbst.
    Das Einzige, was er noch spürte, war Mike. Mike, der ihn ansah, ihn ansah und lauschte, aber nichts hörte. Er wusste nichts, erinnerte sich an nichts, fühlte kaum etwas, fühlte sich schlecht, wollte weg.
    Die Leere in ihm breitete sich immer weiter aus. Und er war sogar ein wenig froh darüber.
     
    Später am Tag. »Schau mal hier hinein«, sagte eine Frau. »Hier bringen wir die Freaks unter.«
    Er spürte eine unbestimmte Angst, als sie die Tür öffnete. Die Tür schwang auf und aus dem Raum ergoss sich ein Lärm, der ihn überraschte. Er sah viele kleine Kinder, die spielten.
    An jenem Abend beobachtete er zwei ältere Männer, die in einer abgetrennten Nische nahe

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