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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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im exakten Sinn des Wortes. Jeder konnte diese rätselhafte Handlung begangen haben und das aus jedem nur erdenklichen Grund. Jeder, den er kannte oder dem er flüchtig begegnet war. Jeder Einzelne von etlichen Dutzend ausgeklinkten Freaks, kaputten Fixern, psychotischen Paranoikern, die ihren halluzinierten Hass auf ihn nun nicht mehr nur in ihrer Phantasie, sondern in der Wirklichkeit auslebten. Oder sogar jemand, dem er nie begegnet war, der ihn einfach so aus dem Telefonbuch ausgewählt hatte.
    Oder auch sein bester Freund.
    Vielleicht Jerry Fabin – bevor sie ihn weggekarrt haben. Diese ausgebrannte, vergiftete Hülse, die einmal ein Mensch gewesen ist. Jerry Fabin und seine Milliarden von Blattläusen. Jerry Fabin, der Donna – eigentlich alle Bräute – beschuldigt hat, ihn verseucht zu haben. Dieser durchgedrehte Homo. Aber, dachte Arctor, wenn Jerry jemanden hätte fertig machen wollen, dann wäre das Donna gewesen und nicht ich. Und außerdem wäre es Jerry nicht mal gelungen, die Bodenplatte des Geräts zu entfernen; hätte er das versucht, wäre er jetzt vermutlich immer noch dabei, dieselbe Schraube loszumachen und wieder festzuziehen. Oder er hätte die Platte gleich mit einem Hammer malträtiert. Und überhaupt: Wenn Jerry Fabin es getan hätte, dann wäre der Kasten jetzt voller Wanzeneier, die von ihm abgefallen wären… Bei diesem Gedanken musste Bob Arctor innerlich grinsen.
    Armes Schwein, dachte er dann und das Grinsen erstarb. Arme, unglückliche Tunte. Nachdem sich die Schwermetalle in seinem Gehirn abgelagert hatten, war’s mit ihm vorbei gewesen. Game over. Einer mehr in einer langen Reihe von Gehirngeschädigten, eine weitere traurige Existenz, wie so viele andere vor ihm. Völlig debil. Das biologische Leben geht weiter, aber die Seele, der Verstand – das alles ist tot. Was bleibt, ist eine Reflexmaschine. Wie irgendein Insekt, verdammt dazu, bestimmte Verhaltensmuster zu wiederholen, ja ein einziges Verhaltensmuster, wieder und wieder, ob nun angemessen oder nicht.
    Möchte wissen, wie er früher war, grübelte Arctor. Er kannte Jerry noch nicht sehr lange und Charles Freck behauptete, dass er früher mal ziemlich gut funktioniert habe. Doch das hätte er mit seinen eigenen Augen sehen müssen, um es zu glauben.
    Vielleicht sollte ich Hank von der Sabotage meines Cephskops erzählen, dachte er dann. Sie würden wissen, was das zu bedeuten hat. Aber was könnten sie für mich tun? Das ist nun mal das Risiko, das man eingeht, wenn man diese Art Arbeit macht.
    Und sie ist es nicht wert, diese Arbeit. So viel Geld gibt es auf dem ganzen beschissenen Planeten nicht. Doch er tat sie ja sowieso nicht des Geldes wegen. Und warum tun Sie’s dann?, hatte Hank ihn gefragt. Aber was wusste man denn – gleich, welcher Art von Arbeit man nachging – schon über seine tatsächlichen Motive? Langeweile vielleicht, die Sehnsucht nach ein bisschen Action. Oder eine unterschwellige Feindseligkeit gegenüber den Menschen, die einen umgaben, gegenüber den Freunden, den Mädchen. Womöglich war es aber auch eine positive Motivation, das Ergebnis einer furchtbaren persönlichen Erfahrung: Vielleicht kannte man einen Menschen, den man aus ganzem Herzen liebte, dem man wirklich nahe gekommen war, den man im Arm gehalten, mit dem man geschlafen, den man als Freund betrachtet, den man vor allem bewundert hatte – und dann musste man mit ansehen, wie diese warme, lebendige Person innerlich ausbrennt, vom Herzen an nach außen verbrennt. Bis sie klickt und klackt wie ein Insekt. Wieder und wieder den gleichen Satz wiederholt. Eine Bandaufnahme. Eine Endlosschleife.
    »… wenn ich bloß noch einen einzigen Schuss haben könnte…«
    Dann wäre ich okay. Drei Viertel des Gehirns Brei – und immer wieder dieser eine Satz. Wie bei Jerry Fabin.
    »… wenn ich bloß noch einen einzigen Schuss haben könnte, würde mein Gehirn ganz sicher von selbst wieder in Ordnung kommen.«
    In diesem Moment hatte Arctor eine Vision – Jerry Fabins Gehirn als die ruinierte Verkabelung des Cephalochromoskops, zerschnittene Drähte, Kurzschlüsse, herausgerissene Leitungen, überladene und zu undefinierbaren Klumpen zusammengeschmolzene Kondensatoren, verschmorte Kontakte, beißender Qualm und ein widerwärtiger Geruch. Und da sitzt jemand mit einem Voltmeter, misst die Stromkreise und murmelt düster: »O Mann, eine Menge Widerstände und Transistoren müssen ersetzt werden…« und so weiter. Doch von Jerry Fabin kommt nur

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