Der dunkle Schirm
ein mattes Summen – und sie geben auf.
Und in Bob Arctors Wohnzimmer wirft ein Tausend-Dollar-Cephskop, eine Maßanfertigung der Firma Altec, das nun angeblich wieder repariert war, eine Schrift in fahlem Grau auf einen winzigen Fleck an der Wand:
WENN ICH BLOSS NOCH EINEN EINZIGEN SCHUSS HABEN KÖNNTE…
Und dann schmeißen sie das Cephskop, das irreparabel beschädigt war, und Jerry Fabin, der irreparabel beschädigt war, in denselben Abfalleimer.
Nun ja, dachte Arctor, wer braucht Jerry Fabin? Außer vielleicht Jerry Fabin selbst, der einmal davon geträumt hatte, als Geschenk für einen Freund ein drei Meter langes Konsolensystem mit einer Quadrophonieanlage und einem Fernseher darin zu entwerfen und zu bauen. Und als man ihn gefragt hatte, wie er dieses riesige, schwere Ding von seiner Garage zum Haus des Freundes transportieren wollte, da hatte er erwidert: Überhaupt kein Problem, Mann! Ich werd es einfach zusammenklappen – hier, ich hab die Scharniere schon gekauft –, ich werd’s also zusammenklappen, verstehst du, das ganze Ding zusammenklappen, es in einen Briefumschlag stecken und ihm per Post schicken…
Jedenfalls, überlegte Arctor, müssen wir jetzt wenigstens nicht dauernd Blattläuse aus dem Haus fegen, wenn Jerry zu Besuch war. Er spürte das Bedürfnis zu lachen, als er daran dachte. Einmal hatten sie eine Theorie entwickelt, mit der sich Jerrys Blattlaus-Trip psychoanalytisch erklären ließ, und den Löwenanteil dazu hatte der clevere, stets zu Späßen aufgelegte Luckman beigetragen – bei solchen Sachen hatte er wirklich was auf dem Kasten. Natürlich setzte die Erklärung bei Jerrys Kindheit an: Eines schönen Tages also kommt Jerry Fabin aus der ersten Klasse nach Hause, den Ranzen unter den Arm geklemmt, fröhlich pfeifend, und da sitzt im Esszimmer neben seiner Mutter diese große Blattlaus, ungefähr einen Meter groß. Jerrys Mutter schaut sie stolz an.
»Was is los?«, will der kleine Jerry wissen.
»Das hier ist dein älterer Bruder«, sagt seine Mutter, »den du bisher noch nicht kennen gelernt hast. Er wird von jetzt an bei uns wohnen. Ich mag ihn viel lieber als dich. Er kann viel mehr als du.«
Und von da an vergleichen Jerry Fabins Eltern ihn pausenlos mit seinem älteren Bruder, der Blattlaus, und immer schneidet Jerry dabei schlecht ab. Während die beiden heranwachsen, entwickelt Jerry folglich einen starken Minderwertigkeitskomplex: Nach der High School erhält sein Bruder ein College-Stipendium, während Jerry in einer Tankstelle zu arbeiten beginnt. Danach wird dieser Bruder, die Blattlaus, ein berühmter Arzt oder Wissenschaftler, er gewinnt sogar den Nobelpreis; Jerry hingegen wechselt immer noch für einen Dollar fünfzig die Stunde Reifen an der Tankstelle. Seine Mutter und sein Vater hören nie auf, ihn daran zu erinnern, sie sagen immer: Wenn du doch bloß nach deinem Bruder geraten wärst!
Schließlich läuft Jerry von zu Hause fort. Doch in seinem Unterbewusstsein meint er immer noch, dass Blattläuse ihm überlegen sind. Zuerst glaubt er, sicher zu sein, aber dann fängt er an, in seinen Haaren und in seinem Haus überall Blattläuse zu sehen, weil sich sein Minderwertigkeitskomplex inzwischen in eine Art sexuellen Schuldkomplex verwandelt hat, und die Blattläuse sind nun eine Strafe, die er sich selber auferlegt… und so weiter.
Jetzt fand Arctor das nicht mehr so spaßig wie damals – jetzt, da Jerry mitten in der Nacht auf Betreiben seiner eigenen Freunde weggeschleppt worden war. Sie – alle, die in jener Nacht mit Jerry zusammen gewesen waren – hatten beschlossen, die Klinik zu verständigen; die Lage hatte sich so zugespitzt, dass man diesen Schritt nicht länger hinauszögern konnte, er war absolut unvermeidlich. In jener Nacht nämlich hatte Jerry die Vordertür seines Hauses verbarrikadiert – mit allem, was er nur finden konnte, ungefähr neunhundert Pfund gottverdammten Kram, einschließlich der Couch und der Stühle und des Eisschranks und des Fernsehers. Und dann hatte er allen erzählt, dass eine gigantische, superintelligente Blattlaus von einem anderen Planeten da draußen sei und hereinkommen und ihn sich schnappen wollte. Und selbst wenn er diese hier erwischte – es würden noch mehr kommen. Die außerirdischen Blattläuse waren bei weitem schlauer als die Menschen und würden, wenn nötig, auch durch die Wände kommen, denn das sei für sie dank ihrer übernatürlichen Fähigkeiten gar kein Problem. Um sich selbst
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