Der dunkle Schirm
Mitschauanlage. Ja, besonders die Schirme. Sie werden mich zwar auffordern, den Schlüssel abzuliefern, aber ich kann mir ein Duplikat davon machen lassen, kurz bevor ich ihn abgebe; es ist ein ganz gewöhnlicher BKS-Schlüssel. Ich kann es schaffen! Er fühlte sich sogleich wohler, als er das begriff; in seinem Innern spürte er grimmige Entschlossenheit und eine neue innere Stärke.
Und ein wenig Zorn. Auf jedermann. Und Befriedigung darüber, wie gut er alles regeln würde.
Wenn ich andererseits auch die Kameras und die Auf-
zeichnungsgeräte und das ganze andere Zeug klauen
würde, dachte er, könnte ich die Überwachung fortführen. Auf eigene Faust. Könnte die Kontrolle am Leben erhalten, wie ich es bisher getan habe. Zumindest für eine Weile. Aber schließlich ist alles im Leben nur für eine Weile – wie das hier beweist.
Die Überwachung, dachte er, muß erhalten bleiben,
das ist das Wichtigste. Und, wenn möglich, die Überwachung durch mich. Ich sollte bis in alle Ewigkeit beobachten, beobachten und auswerten, selbst wenn ich nie 377
irgend etwas hinsichtlich dessen, was ich sehe, unternehme; selbst wenn ich einfach nur dasitze und still ü-
berwache, ungesehen: das allein ist wichtig, allein die Tatsache, daß ich an meinem Platz bin und alles überwache, was passiert.
Nicht um ihretwillen. Um meinetwillen.
Yeah, verbesserte er sich, auch um ihretwillen. Falls etwas passiert, so wie damals, als Luckman erstickte.
Wenn jemand zuschaut – wenn ich zuschaue –, kann ich es bemerken und Hilfe holen. Um Hilfe telefonieren. Ihnen auf der Stelle Beistand leisten. Den richtigen Beistand.
Sonst, dachte er, könnten sie sterben, und niemand
würde darum wissen! Darum wissen oder sich vielleicht auch nur einen Scheißdreck darum kümmern.
Irgendwer muß doch in so erbärmliche kleine Leben
wie die ihren eingreifen. Oder wenigstens ihre traurigen Auftritte und Abgänge registrieren. Registrieren und, wenn möglich, dauerhaft aufzeichnen, damit man sich an sie erinnere und ihrer gedenke. An einem besseren Tag, später mal, wenn die Menschen begreifen werden.
*
In Hanks Büro saß er mit Hank und einem uniformierten Beamten und dem schwitzenden, grinsenden Informanten Jim Barris zusammen, während auf dem Tisch vor ihnen eine von Barris’ Cassetten ablief. Ein zweites Gerät zeichnete die Einspielungen auf, damit auch für den Ab-teilungsgebrauch eine Kopie zur Verfügung stand.
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»… Oh, hallo. Hör mal, ich kann jetzt nicht sprechen.«
»Wann denn?«
»Ich ruf dich zurück.
»Aber es ist dringend.«
»Worum geht’s denn?«
»Wir planen –«
Hank hob die Hand und gab Barris ein Zeichen, das
Band anzuhalten. »Würden Sie bitte die Stimmen für uns identifizieren, Mr. Barris?« sagte Hank.
»Aber natürlich«, erklärte Barris eifrig. »Die weibliche Stimme ist die von Donna Hawthorne, die männliche die von Robert Arctor.«
»All right«, sagte Hank nickend und blickte dann Fred an. Er hatte Freds medizinischen Befund vor sich liegen und blickte immer wieder hinein. »Lassen Sie das Band weiterlaufen.«
»… halb Südkalifornien morgen nacht«, fuhr die
Männerstimme, die der Informant als die Bob Arctors identifiziert hatte, fort. »Das Luftwaffendepot in Vandenberg AFB soll überfallen werden, um automatische und halbautomatische Waffen –«
Hank hielt in der Lektüre des medizinischen Berichts inne und hörte zu, wobei er den vom Jedermann-Anzug verwischten Kopf hin und her wiegte.
Barris, der bisher still vor sich hin gegrinst hatte, grinste nun alle im Raum offen an; seine Finger spielten mit Büroklammern, die er vom Tisch genommen hatte, fummelten und fummelten, als wolle er aus Draht ein Metall-netz stricken. Er strickte und fummelte und schwitzte und strickte.
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Die weibliche Person, die als Donna Hawthorne iden-
tifiziert worden war, sagte: »Was ist mit dieser Desorien-tierungsdroge, die die Motorradfreaks für uns geklaut haben? Wann bringen wir dieses Dreckszeug hoch zur
Wasserscheide, um –«
»Die Organisation braucht zuerst die Waffen«, sagte die Stimme des Mannes. »Das andere ist Stufe B.«
»Okay, aber jetzt muß ich Schluß machen; ich habe
einen Kunden.«
Klick. Klick.
Barris verlagerte sein Gewicht im Stuhl und sagte laut:
»Ich kann die eben erwähnte Motorrad-Gang identifi-
zieren. Sie wird noch auf einem anderen –«
»Haben Sie noch mehr Material von dieser Sorte?«
sagte Hank. »Um diese Erkenntnisse zu vertiefen? Oder handelt
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