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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Dunkelheit dringen. Geht diese Art von gierigem Geräusch auch von mir 404
    aus? fragte sie sich. Bin ich das? Bin ich jenes Ding, das sich an seine Beute anschleicht oder schon zum Sprung ansetzt?
    Das seine Beute schon erlegt hat?
    Der Mann neben ihr regte sich schwach und stöhnte;
    sie half ihm auf. Half ihm auf die Füße und zurück zum Wagen, Schritt für Schritt, half ihm, half ihm, half ihm, weiterzumachen. Unter ihnen war das Geräusch des Polizeiwagens abrupt verstummt; er hatte seine Beute an-gehalten. Sein Job war getan. Bob Arctor an sich drük-kend, dachte sie: Meiner ist jetzt auch vorüber.

    *

    Die beiden Mitarbeiter des Neuen Pfades standen da und musterten das Ding, das da vor ihnen auf dem Fußboden lag, das sich erbrach und zitterte und selbst beschmutzte, die Arme eng um sich gelegt wie in einer Umarmung, als könne es sich auf diese Weise die Kälte fernhalten, die es so heftig zittern ließ.
    »Was ist das?« sagte ein Angehöriger des Anstaltspersonals.
    Donna sagte: »Ein Mensch.«
    »Substanz T?«
    Sie nickte.
    »Sie hat sein Gehirn aufgefressen. Noch ein Verlierer.«
    Sie sagte zu den beiden: »Es ist leicht, zu gewinnen.
    Jeder, kann gewinnen.« Indem sie sich über Robert Arctor niederbeugte, sagte sie schweigend:
    Lebe wohl.
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    Sie legten gerade eine alte Armeedecke über ihn, als sie ging. Sie schaute nicht zurück.
    Sie stieg wieder in ihren Wagen und fuhr sofort zum nächsten Freeway, mitten hinein in den dichtesten Verkehr. Aus der Cassettenbox auf dem Boden des Wagens nahm sie das Band mit Carole Kings Tapestry – ihre Lieblingscassette – und stieß es in das Cassettendeck; gleichzeitig zerrte sie ihre Ruger-Pistole aus der unter dem Armaturenbrett vor neugierigen Blicken verborgenen Magnethalterung. Mit Höchstgeschwindigkeit hängte sie sich an die Stoßstange eines Lieferwagens, der Holz-kästen mit Coca-Cola-Familienflaschen transportierte, und während Carole King in Stereo sang, entleerte sie das Magazin der Ruger auf die Coke-Flaschen ein paar Meter vor ihr.
    Während Carole King mit einschmeichelnder Stimme
    von Leuten sang, die sich hinsetzten und sich in Kröten verwandelten, schaffte Donna es, vier Flaschen zu treffen, bevor das Magazin der Pistole leer war. Glassplitter und Coke-Spritzer prasselten auf die Windschutzscheibe ihres Wagens. Jetzt ging es ihr besser.
    Gerechtigkeit und Ehrlichkeit und Treue sind nicht Eigenschaften dieser Welt, dachte sie; und dann, bei Gott, rammte sie ihren alten Gegner, ihren Feind von alters her, den Coca-Cola-Lieferwagen, der einfach weiterfuhr, ohne es überhaupt zu bemerken. Der Zusammenprall
    brachte ihren Wagen ins Schleudern; die Scheinwerfer erloschen, ein Kotflügel kreischte mit einem schrecker-regenden Geräusch über einen Reifen, und dann war sie plötzlich vom Freeway herunter, stand auf dem Rand-406
    streifen der Gegenfahrbahn. Wasser strömte aus dem
    Kühler, und Autofahrer bremsten ab, um zu gaffen.
    »Komm zurück, du Wichser«, sagte sie zu sich selbst, aber der Coca-Cola-Lieferwagen war längst weg. Möglicherweise war er nicht einmal beschädigt worden. Höchstens ein Kratzer. Tja, früher oder später hatte es wohl dazu kommen müssen, daß sie es in diesem ihrem Krieg mit einem Symbol und einer Realität aufzunehmen versuchte, die zu übermächtig für sie waren. Jetzt wird mein Versicherungssatz wieder in die Höhe gehen, begriff sie, als sie aus ihrem Wagen stieg. Wenn du ein Turnier mit dem Bösen ausfichst, bezahlst du dafür in dieser Welt mit kaltem, hartem Bargeld.
    Ein Mustang neueren Jahrgangs wurde langsamer, und
    der Fahrer, ein Mann, rief ihr zu: »Kann ich Sie mitnehmen, Miß?«
    Sie antwortete nicht. Sie ging einfach nur weiter. Eine kleine zerbrechliche Gestalt zu Fuß, die einer Unendlichkeit auf sie eindringender Lichter entgegenblickte.
    407

XIV
    Zeitungsausschnitt, im Foyer des Samarkand House, des Zentrums des Neuen Pfades in Santa Ana, Kalifornien, mit Reißzwecken an eine Wand gepinnt:

    Wenn der senile Patient am Morgen aufwacht und
    nach seiner Mutter ruft, dann erinnern Sie ihn daran, daß sie schon lange tot ist, daß er über achtzig Jahre alt ist und in einem Genesungsheim lebt und daß wir nicht mehr 1913, sondern schon 1992 schreiben und
    daß er darum der Wirklichkeit und der Tatsache ins
    Gesicht sehen muß, daß …

    Ein Insasse hatte den Rest des Textes abgerissen; er hörte an dieser Stelle auf. Offensichtlich stammte der Artikel aus einer Fachzeitschrift für

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