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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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würden
    sie’s vielleicht nicht tun. Vielleicht würden sie dich am Straßenrand aus dem Wagen kippen und sich sagen: Zum Teufel damit.«
    Bruce scheuerte unbeirrt weiter.
    »Am einfachsten geht’s, wenn du zuerst die Wasch-
    becken machst, dann die Wanne, dann die Toiletten und erst ganz zuletzt den Fußboden.«
    »Okay«, sagte er und legte den Scheuerlappen weg.
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    »Man muß erst mal den richtigen Dreh rauskriegen.
    Das wirst du schon schaffen.«
    Als er genauer hinschaute, sah er vor sich Risse in der Emaille des Beckens; er träufelte Reinigungsmittel in die Risse und ließ heißes Wasser darüberlaufen. Der Dampf wallte auf, und er stand regungslos mitten darin, während der Dampf immer dichter wurde. Er mochte den Geruch.

    *

    Nach dem Mittagessen saß er im Gemeinschaftsraum und trank Kaffee. Die anderen ließen ihn in Ruhe, weil sie wußten, daß er auf Entzug war. Während er so dasaß und aus seiner Tasse trank, konnte er ihre Gespräche verfolgen. Sie kannten sich alle untereinander.
    »Wenn du durch die Augen eines Toten hinaussehen
    könntest, könntest du immer noch etwas erkennen, aber du könntest die Augenmuskulatur nicht mehr betätigen, und darum könntest du den Blick nicht auf eine bestimmte Stelle richten. Dir bliebe nichts anderes übrig, als zu warten, bis sich irgendein Objekt an dir vorüberbewegt.
    Du würdest wie eingefroren sein. Einfach nur warten und warten. Das wäre bestimmt ganz schrecklich.«
    Er starrte hinunter auf den Dampf seines Kaffees; nur darauf. Der Dampf stieg auf; er mochte den Geruch.
    »Hey«.
    Eine Hand berührte ihn. Die Hand einer Frau.
    »Hey«.
    Er schaute ein wenig zur Seite.
    »Wie geht’s dir?«
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    »Gut«, sagte er.
    »Fühlst du dich schon ein bißchen besser?«
    »Ich fühle mich gut«, sagte er.
    Er betrachtete den Kaffee und den Dampf und schaute weder die Frau noch einen der anderen Anwesenden an; er schaute bloß hinunter auf den Kaffee, schaute und schaute. Er mochte die Wärme des Geruchs.
    »Du könntest dann jemanden sehen, wenn er direkt
    vor dir hergeht, aber eben nur dann. Du könntest nur das sehen, was in der Richtung liegt, in die du schaust, aber nichts, was in einer anderen Richtung liegt. Wenn ein Blatt oder sonst was über deine Augen fallen würde …
    tja, das wär’s dann. Für immer. Nur noch das Blatt.
    Nichts anderes; du könntest dich ja nicht bewegen. «
    »Okay«, sagte er, den Kaffee, die Tasse, mit beiden Händen haltend.
    »Stell dir mal vor, Empfindungen zu haben, aber nicht zu leben. Zu sehen und sogar zu begreifen, aber nicht zu leben. Einfach nur hinauszuschauen. Zu erkennen, aber nicht zu leben. Ein Mensch kann sterben und trotzdem weiterexistieren, Vielleicht ist das, was manchmal aus den Augen eines Menschen auf dich hinausschaut, schon damals in seiner Kindheit gestorben. Das, was in einem Menschen schon tot ist, schaut immer noch hinaus. Es ist nicht einfach der Körper, der dich anblickt, der leere Körper; da ist immer noch etwas darin, aber das ist irgendwann gestorben und schaut nur einfach weiter und weiter hinaus; es kann nicht damit aufhören, zu schauen. «
    Jemand anderes sagte: »Genau das bedeutet es ja letztlich, zu sterben: wenn man nicht mehr aufhören kann, 413
    das anzustarren, was auch immer vor dir ist. Da ist irgendein verdammtes Ding, genau vor dir, und du kannst einfach nichts dagegen unternehmen, also zum Beispiel eine Wahl treffen oder etwas verändern. Du kannst nur noch das, was vor dich hingestellt wird, akzeptieren –
    und zwar so, wie es ist. «
    »Wie würde es dir gefallen, in alle Ewigkeit auf eine Bierdose zu starren? Vielleicht war’ das gar nicht mal so schlimm. Wenigstens müßte man sich davor nicht fürch-ten.«

    *

    Vor dem Abendessen, das sie im Speiseraum zu sich
    nahmen, hatten sie Diskussionsstunde. Verschiedene philosophische Konzepte wurden von verschiedenen Mit-
    gliedern des Betreuerstabes auf eine Tafel geschrieben und dann gemeinsam diskutiert.
    Er saß mit im Schoß gefalteten Händen da, betrachtete den Fußboden und lauschte darauf, wie sich die große Kaffeemaschine aufheizte; es klang wie blub-blub, und das Geräusch machte ihm Angst.
    »Das Lebende gibt ununterbrochen seine Eigenschaften an das Nichtlebende ab und umgekehrt.«
    Alle saßen im Raum verstreut auf Klappstühlen und
    diskutierten das. Das Konzept schien ihnen vertraut zu sein. Offensichtlich waren solche Sätze Teile der Denk-weise des Neuen Pfades und wurden vielleicht sogar auswendig

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