Der dunkle Schirm
Man muß das echt mal miterlebt haben, wie er sich die Haube aufsetzte, jedesmal, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam. Er war kaum durch die Tür, da hat er das Ding schon angeschaltet. Jeder Typ hat irgendein Ding, daß er wie einen Schatz hütet. Und das hier war sein Schatz. Und deshalb ist es Scheiße, ihm so was an-zutun, Mann, Scheiße!«
»Genau das meine ich auch.«
»Was meinst du auch?«
»Jedesmal, wenn er abends von der Arbeit nach Hause 81
kam‹«, erwiderte Barris. »Ich stelle nun schon seit geraumer Zeit Mutmaßungen darüber an, von wem Bob
Arctor wirklich bezahlt wird und was an der Organisation, die ihn beschäftigt, eigentlich so ungewöhnlich ist, daß er uns nicht mal ihren Namen sagen will.«
»Bob arbeitet in so einer beschissenen Briefmarken-
sammelstelle des Blauen Chip in Placentia«, sagte Charles Freck. »Er hat’s mir mal erzählt.«
»Ich möchte zu gerne wissen, was er da macht.«
Charles Freck seufzte. »Die Briefmarken blau färben vermutlich.« Ihm wurde klar, daß er Barris eigentlich noch nie gemocht hatte. Freck wünschte sich, woanders zu sein. Vielleicht unterwegs, um mir Stoff zu beschaffen, dachte er, und die erste Person, der ich begegne oder die ich anriefe, hat gerade einen größeren Posten im Angebot. Vielleicht sollte ich mich wirklich auf die Socken machen … Aber dann erinnerte er sich an das Gefäß mit Öl und Kokain, das im Gefrierschrank abkühlte: Kokain im Wert von hundert Dollar, und das für nur 98 Cent.
»Hör mal«, sagte er, »wann ist das Zeug eigentlich endlich fertig? Ich glaube, du willst mich sowieso nur verarschen. Wie können die Solarcaine-Leute es so billig verkaufen, wenn es ein Gramm puren Kokains enthält? Wie können sie da noch einen Gewinn machen?«
»Sie kaufen«, erklärte Barris, »in großen Mengen.«
In seinem Kopf spulte Charles Freck eine Phantasie-
nummer ab: 30tonner, voll mit Kokain, fuhren rückwärts an die Solarcaine-Fabrik heran – wo auch immer sie auch liegen mochte … vielleicht in Cleveland? – und luden tonnenweise pures, unverschnittenes, hochgradiges Ko-82
kain ab, das mit Öl und Treibgas und anderem Dreck
vermischt und dann in kleine, bunte Spraydosen abgefüllt wurde, die dazu bestimmt waren, zu Tausenden in 7-11-Läden und Drogerien und Supermärkten aufgestapelt zu werden. Eigentlich, überlegte er, sollten wir einfach einen dieser 30tonner überfallen und uns die ganze Ladung schnappen, sieben- oder achthundert Pfund vielleicht –
Hölle, bestimmt noch viel, viel mehr! Was faßt eigentlich so ein 30tonner?
Barris holte jetzt die leere Solarcaine-Spraydose, um sie ihm zu zeigen; er deutete auf das Etikett, auf dem alle Bestandteile aufgeführt waren. »Siehst du? Benzocain.
Nur wissenschaftlich gebildete Leute wissen, daß das ein Handelsname für Kokain ist. Wenn sie auf dem Etikett
›Kokain‹ schreiben würden, würden das alle möglichen Leute sofort spitzkriegen und vielleicht genau das tun, was ich hier mache. Aber den meisten fehlt es einfach an der notwendigen Bildung, um den Trick zu durchschau-en. Schließlich haben sie nicht die gleiche wissenschaftliche Ausbildung wie ich genossen.«
»Wie willst du denn deine Kenntnisse verwerten?«
fragte Charles Freck. »Außer dazu, Donna Hawthorne
geil zu machen?«
»Ich beabsichtige, vielleicht einen Bestseller zu
schreiben«, sagte Barris. »Ein Handbuch für jedermann, wie man sauberes Dope in seiner eigenen Küche herstellen kann, ohne geltendes Recht zu verletzen. Sieh mal, diese Methode zur Kokaingewinnung verstößt gegen kein Gesetz. Benzocain ist legal. Ich habe eine Apotheke angerufen und nachgefragt. Viele frei verkäufliche Sub-83
stanzen enthalten Benzocain.«
»Irre«, sagte Charles Freck beeindruckt. Er blickte auf seine Armbanduhr, um festzustellen, wie lange sie noch warten mußten.
*
Bob Arctor hatte von Hank (der eigentlich den offiziellen Decknamen »Mr. F.« trug) den Auftrag erhalten, das örtliche Zentrum des Neuen Pfades einer gründlichen Über-prüfung zu unterziehen, um einen großen Dealer ausfindig zu machen, den er schon seit längerem überwachte und der nun urplötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
Wenn ein Dealer merkte, daß man ihn bald hochneh-
men würde, suchte er manchmal Zuflucht in den Rehabilitationszentren für Drogenabhängige, also etwa in Syanon, Center Point und X-Kalay oder auch beim Neuen Pfad. Er gab sich dann als Süchtiger aus, der Hilfe suchte, War er erst
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