Der dunkle Schirm
linken Hemisphäre gegeben haben, ist es offensichtlich eine ziemlich schockierende Erfahrung.«
»Ich glaube eigentlich doch, daß ich das bemerkt hät-te.«
»Früher nahm man im allgemeinen an, daß die rechte
Hemisphäre über überhaupt keine sprachlichen Fähigkeiten verfügte, aber diese Theorie wurde aufgestellt, bevor sich so viele Leute die linke Gehirnhälfte mit Drogen ruiniert hatten und ihr – der rechten, meine ich – dadurch eine Chance gaben, auf den Plan zu treten. Das Vakuum zu füllen.«
»Ich werde bestimmt in Zukunft darauf achten«, sagte Fred und lauschte zugleich auf den rein mechanischen Klang seiner Stimme. Wie die Stimme eines pflichteifri-gen Kindes in der Schule. Eine Stimme, aus der die Bereitschaft sprach, jedem noch so dummen Befehl zu ge-horchen, der ihm von jenen erteilt wurde, die die Be-fehlsgewalt innehatten. Jenen, die größer waren als er und sich in einer Position befanden, die es ihnen erlaubte, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Egal, ob der Befehl nun sinnvoll war oder nicht.
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Immer nur beipflichten, dachte er. Und das tun, was einem befohlen wird.
»Was sehen Sie auf dem zweiten Bild?«
»Ein Schaf«, sagte Fred.
»Zeigen Sie mir das Schaf.« Der sitzende Deputy
beugte sich vor und drehte das Bild um. »Wenn Ihre Fä-
higkeit zur Unterscheidung von Objekt und Hintergrund beeinträchtigt ist, dann kann Ihnen das eine Menge Ärger machen – statt keine Formen wahrzunehmen, nehmen Sie falsche Formen wahr.«
Wie Hundescheiße, dachte Fred. Hundescheiße würde
bestimmt zu den falschen Formen gerechnet werden. Egal, was man für einen Maßstab anlegt. Er …
Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, daß die
stumme, untergeordnete Hemisphäre auf die Gestalt-
Wahrnehmung spezialisiert ist, also in erster Linie den Informations-Input ganzheitlich-synthetisch verarbeitet. Im Gegensatz dazu scheint die mit Sprachfähigkeit begabte, dominierende Hemisphäre eher in der Art eines Computers, also tendenziell logischer und analytischer, zu arbeiten, und die Befunde legen die Vermutung nahe, daß ein möglicher Grund für die zerebrale Ungleichgewichtigkeit beim Menschen in der grund-legenden Unvereinbarkeit der Sprachfunktionen einerseits und der synthetischer Perzeptionsfunktionen andererseits zu suchen ist.
… fühlte sich krank und niedergschlagen, fast so sehr wie während der Ansprache vor dem Lions-Club. »Da ist 198
gar kein Schaf, nicht wahr?« sagte er. »Aber war ich wenigstens nahe dran?«
»Das hier ist kein Rorschach-Test«, sagte der sitzende Assistent, »bei dem ein vager Fleck von verschiedenen Testpersonen auf unterschiedliche Weise gedeutet werden kann. Bei diesem Test zeigen die Testkarten ein de-finitiv festgelegtes Objekt. Eins und nur eins. In diesem Fall ist es ein Hund.«
»Ein was?« sagte Fred.
»Ein Hund.«
»Woher wissen Sie, daß es ein Hund ist?« Er sah keinen Hund. »Zeigen Sie ihn mir.« Der medizinische Assistent …
Diese Schlußfolgerung findet ihren experimentellen
Beweis durch den sogenannten »Spaltungsversuch«,
bei dem die beiden Gehirnhemisphären eines Tieres
darauf trainiert werden können, unabhängig voneinander wahrzunehmen, Strategien zu erwägen und zu
handeln. Beim Menschen, wo die dominanten, hand-
lungsrelevanten Denkfunktionen sehr ausgeprägt in
nur einer Hemisphäre verortet sind, hat sich die andere Hemisphäre offensichtlich auf eine strukturell anders-artige Form des Denkens spezialisiert, die man appositionell nennen könnte. Die Regeln oder Modelle, nach denen die Denkakte der dominanten Hemisphäre (jener also, die spricht, liest und schreibt) ablaufen, sind bereits seit vielen Jahren Gegenstand syntaktischer, semantischer, mathematisch-logischer u. a. Analysen.
Die Gesetze und Modelle, nach denen auf der anderen 199
Seite des Gehirns das appositionelle Denken abläuft, werden hingegen noch viele Jahre intensiver Erfor-schung bedürfen.
… wendete die Karte; auf der Rückseite war als schematisch stark vereinfachter Umriß EIN HUND gezeichnet, und jetzt erkannte Fred, daß es sich dabei tatsächlich um die Form handelte, die inmitten der Linien auf der Vor-derseite eingezeichnet gewesen war. Übrigens war es nicht nur einfach irgendein Hund, sondern eine ganz bestimmte Hunderasse: ein Windhund mit eingezeichneten Gedärmen.
»Was bedeutet es«, sagte er, »daß ich statt dessen ein Schaf gesehen habe?«
»Vielleicht haben Sie einfach nur eine psychologische Blockade«, sagte der
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