Der dunkle Schirm
da ja auch noch die Sache mit dem Diebstahl –, würde sie eine ganze Weile im Knast sitzen, und während dieser Zeit mochten ihr noch eine ganze Reihe anderer Dinge, schrecklicher Dinge, zustoßen. Und wenn sie dann wieder rauskam, würde sie völlig verändert sein – eine ganz andere Donna. Ihre sanfte, fürsorgliche Art, die er so sehr liebte, ihre Wärme – das alles würde sich in Gott weiß was verwandelt haben. Auf jeden Fall würde sie leer sein, leer und verbraucht. Donna, verwandelt in ein Ding; und das blühte ihnen eines Tages allen. Aber hoffentlich nicht Donna, dachte er. Jedenfalls nicht, solange ich lebe, und nicht an einem Ort, wo ich ihr nicht helfen kann.
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»Lebendig«, sagte er jetzt todunglücklich zu ihr, »ohne Besessenheit.«
»Was soll’n das heißen?« Nach einem Augenblick be-
griff sie, was er meinte. »Ach so, Transaktionsanalyse, stimmt’s? Aber wenn ich Hasch rauche …« Sie hatte ihre eigene kleine Hasch-Pfeife aus Ton herausgeholt, die sie selbst gemacht hatte und deren Kopf wie ein Seeigel aussah, und zündete sie gerade an. »Dann fühle ich mich beireit.« Sie blickte mit glänzenden Augen glücklich zu ihm auf, lachte und streckte ihm die kostbare Hasch-Pfeife entgegen. »Ich lade dich jetzt auf«, erklärte sie.
»Setz dich hin.«
Während er sich setzte, erhob sie sich und paffte im Stehen so lange, bis der Shit im Pfeifenkopf kräftig glomm. Dann watschelte sie auf ihn zu und beugte sich über ihn, und als er den Mund öffnete – wie ein Vogel-junges, dachte er, ein Gedanke, der ihm jedesmal in diesen Augenblicken kam –, atmete sie den Hasch-Rauch in einem großen, kraftvollen Strom in ihn hinein und erfüll-te ihn so mit ihrer eigenen heißen und kühnen und unver-besserlichen Energie, die zugleich ein Beruhigungsmittel war, das sie beide zusammen entspannte und ganz gelöst werden ließ: sie, die ihn auflud, und Bob Arctor, der diese Gabe entgegennahm.
»Ich liebe dich, Donna«, sagte er. Dieses Aufladen
war für ihn an die Stelle sexueller Beziehungen mit ihr getreten, und vielleicht war es sogar besser als Sex; es bedeutete ihm so viel; es war so unglaublich intim und so ganz anders im Vergleich zu Sex, denn hierbei konnte zuerst sie etwas in ihn einströmen lassen und dann, wenn 264
sie das Bedürfnis danach hatte, er etwas in sie. Ein gleichberechtigter Austausch, ein Geben und Nehmen, bis der letzte Krümel Hasch verglommen war.
»Yeah, das kann ich dir nachfühlen, daß du mich
liebst, meine ich«, sagte sie, kicherte und setzte sich neben ihn, um einen Zug aus der Hasch-Pfeife zu nehmen, diesmal für sich selbst.
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IX
»Hey, Donna, hör mal«, sagte er. »Magst du Katzen?«
Sie blinzelte mit geröteten Augen. »Klamme kleine
Dinger. Schleichen ungefähr ‘nen Meter über dem Boden daher.«
»Über, nein, auf dem Boden.«
»Klamm. Hinter den Möbeln.«
»Dann eben kleine Frühlingsblumen«, sagte er.
»Ja«, sagte sie. »Das gefällt mir – kleine Frühlingsblumen, mit Gelb drin. Die, die zuerst rauskommen.«
»Vorher«, sagte er. »Früher als alle anderen«
»Ja.« Sie nickte, die Augen geschlossen, sehr weit weg auf ihrem Trip. »Bevor alle auf ihnen rumtrampeln und sie – weg sind.«
»Du kennst mich wirklich«, sagte er. »Du kannst mei-ne Gedanken lesen. «
Sie lehnte sich zurück und legte die Hasch-Pfeife beiseite. Sie war ausgegangen. »Nichts mehr da«, sagte sie, und ihr Lächeln verschwand langsam.
»Was ist los mit dir?« sagte er.
»Nichts.« Sie schüttelte den Kopf, und das war alles.
»Darf ich meine Arme um dich legen?« fragte er. »Ich möchte dich festhalten. Okay? Dich nur ein bißchen in den Arm nehmen, ja?«
Ihre dunklen, müden Augen mit den geweiteten Pupil-
len öffneten sich. »Nein«, sagte sie, ohne ihn direkt an-zublicken. »Nein, du bist zu häßlich.«
»Was?« sagte er.
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»Nein«, sagte sie, diesmal mit einer gewissen Schärfe.
»Ich schniefe ‘ne Menge Koks; ich muß supervorsichtig sein, weil ich ‘ne Menge Koks schniefe.«
»Häßlich?« wiederholte er wie ein Echo. Er war wü-
tend auf sie. »Du verfickte –«
»Geh mir bloß nicht an die Wäsche«, sagte sie und
starrte ihn an.
»Klar«, sagte er. »Natürlich nicht.« Er kam auf die Füße und wich vor ihr zurück. »O ja, darauf kannst du Gift nehmen!« Er spürte das unwiderstehliche Bedürfnis, zu seinem Wagen hinauszugehen, die Pistole aus dem
Handschuhfach zu holen und ihr das Gesicht wegzu-
schießen – ihren
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