Der dunkle Spiegel
Fuß vertreten, und der Amme war’s zu heiß.«
»Ei wei! Soll ich etwas aus der Apotheke mitnehmen für Hilla oder die Trut?«
»Wenn’s keine Umstände macht, junge Herrin.«
»Dann setz dich so lange dort hinein und trink einen Becher Apfelwein.«
Anna bedankte sich mit einem zahnlückigen Grinsen, und Almut ging, um ihren Beutel mit den Mitteln zu füllen, die Elsa ihr mitgab. Ein Fläschchen Duftwasser war auch darunter.
Erquickt stand Anna auf, als Almut sie zum Gehen aufforderte.
»Sind viele Berittene unterwegs in der Stadt. Wir sollten uns beeilen.«
»Berittene?«
»Ritter, junge Herrin. Gewappnet und in Waffen.«
»Erzbischöfliche?«
»Euer Vater sagt, es sind die Mannen des Herren von der Mark. Sie sollen die Stadt gegen die Erzbischöflichen verteidigen, die sich vor den Toren sammeln. Aber ich weiß nicht recht – ich fürchte mich vor ihnen.«
»Schon gut, Anna. Wir werden nicht die breiten Straßen nehmen.«
Der Beginenhof lag in einer Gegend, die nur noch spärlich bebaut war, doch vom Eigelstein-Tor im Norden führte quer durch die ganze Stadt bis zum südlichen Severinstor eine Durchgangsstraße, die auch für Almut normalerweise die kürzeste Verbindung zu ihrem Elternhaus darstellte. Auf Annas Bitten entschloss sie sich, den Weg am Rhein entlang zu nehmen. Zunächst ging alles gut. Sie begegneten keinem der Berittenen, sondern lediglich einigen Bauern, die mit ihren Karren aus der Stadt zurück zu ihren Feldern zogen, und einer Gruppe staubiger Pilger, die sie nach dem Weg zum Kloster von St. Gereon fragten. Ein klappernder Eselswagen mit zwei Ursulinerinnen überholte sie ebenso wie einige geschäftige Handwerksburschen, die mit Werkzeugen beladen ihren Arbeiten nachgingen. Es war noch immer heiß an diesem Julinachmittag, doch über den blauen Himmel zogen dünne Schleierwolken. Die Schwüle und die völlige Windstille machten die Luft drückend. Der Pfad, den Almut mit Anne gewählt hatte, war staubig, und es hatten sich tiefe Karrenspuren eingegraben. Nur wenige Häuser und Scheunen säumten ihn, denn die Weingärten zogen sich fast bis zum Rhein hinunter. Doch im Süden konnte man die Silhouette des neuen Doms sehen, dessen Südturm allmählich über die Dächer hinauswuchs.
»Seht, da vorne!«
Anna hatte Almut am Ärmel gepackt und hielt sie fest, so dass sie nicht weitergehen konnte. Almut erkannte, was die Magd ängstigte. Neben dem Weg stand ein gewaltiges braunes Ross. Der Reiter jedoch war abgestiegen und hielt ein zappelndes rotes Bündel im Arm. Statt umzukehren und die Beine in die Hand zu nehmen, wie Anna gehofft hatte, beschleunigte Almut ihre Schritte. Das rote Bündel entpuppte sich nämlich als eine junge Frau, die sich mit verbissenem Gesicht gegen den harten Griff des Ritters wehrte.
»So schrei doch um Hilfe!«, rief Almut ihr zu, als sie nahe genug herangekommen war. »Schrei doch ›Vergewaltigung!‹ Du hast zwei Zeugen!«
Die Frau zischte ihr aber nur zu: »Halt’s Maul, Schwester!«, und der Ritter lachte dröhnend auf. Er hatte eine Hand in das rote Oberkleid geschoben und knetete ihren Busen, was zweifellos schmerzhaft sein musste. Warum die junge Frau nicht die gängige Form der Beschuldigung herausschreien wollte, verwunderte Almut. Mit zwei Zeuginnen hätte sie durchaus vor den Richter ziehen können. Inzwischen wurden sogar noch ein paar Arbeiter in den Feldern auf sie aufmerksam. Die genossen zwar gaffend das Schauspiel, aber eingreifen würden sie nicht.
Für Almut musste sofort etwas geschehen. Sie sah sich kurz um und fand einen armlangen Stecken, der an einer Scheunenwand lehnte. Mit ihm brannte sie dem Ross einen Hieb auf die Flanke, der wieder einmal beredtes Zeugnis davon ablegte, dass zarte Stickereien nicht ihre Hauptbeschäftigung darstellten. Das wuchtige Pferd mochte schlachterprobt sein, der unerwartete und harte Schlag überraschte es jedoch, und schnaubend stieg es auf die Hinterhand. Der Ritter, der die Zügel noch um den Arm geschlungen hatte, wurde plötzlich von seiner sich wehrenden Beute weggezerrt, und er musste sich entscheiden, ob er Pferd oder Frau bändigen wollte. Seine Entscheidung fiel zu Gunsten des Rosses, und die Rotgewandete riss sich los. Sie rannte mit fliegenden Röcken den Weg hinunter, gefolgt von Almut, die ebenfalls kein Bedürfnis verspürte, sich weiter mit dem Ritter auseinander zu setzen. Die Magd hingegen drückte sich so gut es ging die Scheunenwand entlang und versuchte mit gutem Erfolg,
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