Der dunkle Spiegel
unsichtbar zu werden.
»Rechts, bieg nach rechts ab!«, rief Almut, als sie die Flüchtende erreichte. Sie gelangten an eine Friedhofsmauer, fanden den Einschlupf und lehnten keuchend an der mannshohen Wand.
»Warum hast du nicht geschrieen, du dumme Gans!«
»Will ich mir meinen Ruf versauen?«
Die junge Frau glättete ihr Obergewand, von neuestem Schnitt und höchster Stoffqualität, wie Almut bemerkte. Die Teufelsfenster gaben den Blick auf ein zartes, hauchdünnes Untergewand frei, derart eng geschnürt, dass man die wohlgeformte Figur deutlich erkennen konnte. Über dem Kopf trug sie einen hellen, hauchfeinen Schleier, der ihr langes, rabenschwarzes Haar eher betonte als verhüllte. Auch ihre Augen funkelten dunkel, und Almut erkannte mit leichtem Staunen, dass sie mit schwarzer Farbe sorgfältig umrahmt waren.
»Ich wollte Euch helfen«, sagte Almut schließlich mit einem Schulterzucken und wischte sich den Schweiß von den Augenbrauen.
»Schon gut, Schwester. Aber das hätte mich nur in Schwierigkeiten gebracht.«
»Ich hatte den Eindruck, Ihr stecktet bereits in Schwierigkeiten. Und im Übrigen bin ich keine Schwester, sondern gehöre zu einem Beginen-Konvent.«
»Ihr seht aber so aus. Ich mache da bei Euch heiligen, keuschen Frauen keine Unterschiede. Und irgendwie wäre ich mit dem edlen Herrn von Oefte schon fertig geworden. Aber wenn ich diesen Nichtsnutz Pitter wieder treffe, der mich begleiten sollte, dann werde ich ihm mit Genuss die Ohren lang ziehen. Der Bengel ist doch wie vom Erdboden verschluckt gewesen, als der Reiter auftauchte.«
»Wo müsst Ihr hin?«
»Nach Hause.«
Almut bedachte sie mit einem langmütigen Blick, und die andere lenkte ein: »O ja, schon gut. Ihr wollt mir helfen. Richtung Dom muss ich gehen.«
»Sehr schön. Das ist auch mein Weg. Ich begleite Euch, wenn meine Magd wieder auftaucht.«
Die junge Frau lauschte und deutete dann zum Tor.
»Seht, der Herr Ritter hat sein Interesse an mir verloren und geht wichtigeren Geschäften nach.«
Durch einen Spalt der Pforte beobachteten die beiden, wie der Reiter vorbeizog.
»Ihr kennt ihn?«
Wieder ein Schulterzucken.
»Er dachte, er könnte mein Kunde werden. Oder besser, er versucht es immer wieder mit den falschen Mitteln.«
Allmählich dämmerte Almut, was ihre Begleiterin damit meinte.
»Na, wollt Ihr noch immer mit mir in die Stadt gehen?«
»Warum nicht?«
»Es gibt Leute, die nennen mich die ›maurische Hure‹ und würden lieber mit dem Teufel spazieren gehen als mit mir.«
»Ach ja. Und stimmt es? Seid Ihr eine Maurin?«
Ein verblüfftes Kichern war die Antwort. »O nein, mein Vater hat schon dafür gesorgt, dass mir das richtige Wasser über den Kopf gegossen wurde. Und so bin ich eine genauso rechte Christin wie Ihr auch. Aber meine Mutter war eine Maurin und so weiter.«
Sie waren aus der Pforte auf die Straße getreten, und Almut hatte der Magd, die sich langsam auf sie zu bewegte, auffordernd zugewunken.
»Wo kommt Eure Mutter her?«
»Aus Cordoba. Ein Gewürzhändler brachte sie hierher.«
»Euer Vater?«
»Aber nein. Auch der Tuchhändler nicht und der Kardinal nicht. Seid Ihr entsetzt, Schwester?«
»Aber nein!« Almut lächelte. »Meine Magd ist es jedoch!«
Anna starrte die rot gekleidete Frau mit größter Missbilligung an und schlurfte unwillig schnaufend hinter den beiden her.
»Nun ja, vielleicht versteht Ihr jetzt, warum ich nicht Zeter und Mordio geschrieen habe. Ich will mit den Bütteln nichts zu tun haben.«
»Warum erzählt Ihr mir das eigentlich?«
»Ihr habt gefragt.«
Schweigend gingen sie weiter, und als der Dom hinter ihnen lag, deutete Almuts Gefährtin eine schmale Gasse an der alten Römermauer hoch.
»Ich wohne dort hinten. Habt Dank für Eure Begleitung, Schwester.«
»Nichts zu danken. Es war auch mein Weg. Ich heiße übrigens Almut, und Ihr findet unseren Konvent am Eigelstein. Wenn Euch der Sinn einmal nach ein wenig Besinnung und innerer Einkehr steht, seid Ihr gerne willkommen.«
»Ach ja. Na, wenn Ihr mal ein wenig Spaß und Leichtsinn benötigt, dann seid Ihr ebenfalls willkommen. Fragt nach Aziza, aber nennt mich um Gottes Liebe nicht die maurische Hure!«
Den Rest des Weges musste sich Almut von Anna die bittersten Vorwürfe anhören. Sie ließ die Schelte schweigend und geduldig über sich ergehen, und erst als sie vor der Tür ihres Elternhauses anlangten, blieb sie stehen und sah die Magd mahnend an.
»Ich habe nur mehr christlich gehandelt,
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