Der dunkle Spiegel
Anna, und einer Frau in Bedrängnis geholfen. Warum machst du mir das zum Vorwurf?«
»Weil sie eine unkeusche Frau ist und eine Ehebrecherin!«
»Ist das ein Grund, ihr nicht zu helfen?«
»Ihr bringt Euch selbst in Verruf, junge Herrin!«
»Hat sich Jesus in Verruf gebracht, als er sich der Ehebrecherin annahm? Ich werde nicht den ersten Stein aufheben, Anna! So, und jetzt genug der Ermahnungen.«
Der Besuch bei ihren Eltern bereitete Almut meist Freude. Ihre leibliche Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben, doch einige Jahre später hatte ihr Vater eine zweite Frau gefunden, und diese hatte sich des verwaisten und ziemlich ungebärdigen Mädchens verständnisvoll angenommen. Im Haus am Mühlenbach empfing ihre Stiefmutter sie auch heute mit einer liebevollen Umarmung.
»Du siehst erhitzt aus, Almut.«
»Ich habe ja auch Jungfrauen in Nöten retten müssen!«
»Gab es Drachen unterwegs?«
»Nein, Ritter. Die Situation scheint sich mal wieder zuzuspitzen. Habt Ihr Neuigkeiten gehört, Frau Barbara?«
»Der Erzbischof zieht seine Truppen zusammen, sagt man. Dummer Junge, der! Vor noch nicht einmal einem Jahr hat er sich schon mal eine blutige Nase geholt. Weißt du noch, er hat darauf spekuliert, dass sich die Handwerkszünfte gegen den Rat der Stadt stellen würden.«
»Ja, ich weiß, er wollte sich als der Befreier vom patrizischen Stadtrat aufspielen. Sogar Vater ist damals mit zum Rathausplatz gezogen, um gegen die Erzbischöflichen zu kämpfen.«
»Sinnlose Prügelei, wenn du mich fragst. Der Erzbischof hat keine guten Ratgeber. Damals viel zu jung ernannt worden. Er ist nur ein Jahr älter als du, Almut. Achtundzwanzig ist er. Aber schließlich ist er der Neffe von Erzbischof Kuno, und das wird ihm wohl geholfen haben. Na, komm, lass uns im Hof einen kühlen Wein trinken.«
Hinter dem Haus gab es einen Innenhof, in dem Barbara einen Garten mit Küchenkräutern und Gemüse angelegt hatte. Auch ein Rosenstock streckte seine Ranken die Hauswand empor. Almut bewunderte die eben aufbrechenden rosa Blüten und strich sacht mit den Fingerspitzen über die seidigen Blätter. In der drückend schwülen Luft dufteten jedoch nicht nur die Rosen süß, sondern auch vom Kräuterbeet wehte ein würziger Hauch auf, als ihre Röcke die Salbeistauden streiften. Gelb blühten Weinraute und Johanniskraut und weiß die Minze und die Schafgarbe. In den Beeten dahinter reiften die Erbsen an ihrem Busch, und zwei Reihen fedrigen Grüns deuteten auf eine reiche Möhrenernte. Die Bohnenpflanzen rankten sich säuberlich um die Stangen, und es hingen sogar schon die ersten Flaschenkürbisse an den Spalieren.
»Wie geht es meinem Vater?«
»Oh, er war kurz davor, vor lauter Stolz zu bersten. Er sollte einen Auftrag für einen hohen Herren erledigen. Doch leider haben wir gestern erfahren, dass daraus nun erst einmal nichts wird. Ein Todesfall in der Familie, heißt es.«
»Armer Vater. Wer war der hohe Herr? Ein Patrizier gar?«
»Nein, so hoch hinaus ging es denn doch nicht. Ein Weinhändler, doch einer mit großem Ehrgeiz.«
»Sagt nur, der Hermann de Lipa?«
»Der Nämliche. Wie kommst du darauf?«
»Der Todesfall, Frau Barbara. Wir hatten damit zu tun.« Almut wollte über die mysteriösen Umstände und die Verdächtigungen, die sie betrafen, nicht sprechen, darum fügte sie sofort die nächste Frage an: »Was sollte Vater denn für ihn bauen?«
»Oh, etwas wirklich Großartiges. Eine neue Kloake.«
Barbara kicherte leise. Sie war ihrem Mann durchaus zugetan, aber sein Bestreben, ständig die Verbindung mit bedeutenden Männern zu suchen, forderte ihren Spott heraus.
»Das scheint auch bitter nötig zu sein, die alte stank zum Himmel, als wir das Haus besuchten! Aber welchen großen Ehrgeiz hat denn der Herr de Lipa? Ich denke, er ist schon der reichste Weinhändler in der Stadt, und sie haben ihn sogar zum Oberhaupt der Kaufmannsgaffel gewählt.«
»Er hat sich auch einen Platz im weiten Rat erobert, keine Ahnung, wie ihm das gelungen ist. Aber die Gerüchte sagen, er spekuliert darauf, im engen Rat der Stadt aufgenommen zu werden.«
»Die Patrizier lassen darin doch niemanden außer ihren eigenen Angehörigen zu.«
»Darum beäugt er ja auch mit großem Wohlwollen die Verbindung seiner Nichte Waltruth mit dem Werner von Stave. Es heißt, dass er zu Ehren des jungen Paares ein gewaltiges Fest plant. Das tut er sicher nicht seiner Schwester Helgart zuliebe, sondern um seine Beziehungen zu den
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