Der dunkle Spiegel
Fleisch, weißes Brot und Wein. Dass der Anblick mancher Frauen die eine oder andere ungewollte Reaktion bei ihm auslöste, hatte er zu erdulden gelernt und büßte dafür mit Nachtwachen, in denen er auf dem kalten Steinboden vor dem Altar kniete und inbrünstig um die Vergebung seiner fleischlichen Sünden bat.
Bruder Johannes hielt sich nicht für fleckenlos rein, obwohl er hart daran arbeitete. Seine peinlich saubere weiße Kutte war nur das äußere Zeichen für seine Anstrengungen. Er hielt den Weg, den er gewählt hatte, um dereinst der Erlösung teilhaftig zu werden, für den einzig gangbaren. Und er war großmütig genug, den brennenden Wunsch zu hegen, den vielen irregeleiteten Menschenkindern zu eben dieser Erlösung zu verhelfen. Diese Aufgabe erwies sich jedoch als überaus schwierig, und eine der schwersten Prüfungen seines Lebens bestand sicherlich im derzeitigen Ort seines Wirkens: Köln. Diese Stadt, die zwar unzählige Kirchen, Klöster und Kapellen ihr Eigen nannte und beinahe mehr Reliquien beherbergte als Rom selbst, schien ihm trotz allem vor durchdringender Scheinheiligkeit zu vibrieren. Das Schlimmste daran aber war die Unmöglichkeit, auch nur den kleinsten belastbaren Beweis dafür zu finden.
Bruder Johannes, permanent unausgeschlafen, übermüdet und hungrig, war Inquisitor.
Er hatte außerdem einen Gallenstein.
Er hatte auch ein feines Gehör, und Vorfälle, die auf häretische Umtriebe schließen ließen, drangen früher oder später an sein Ohr. Vor allem sektiererische Gruppen, die sich anmaßten, eigene Glaubensinterpretationen zu verbreiten, waren ihm ein Dorn im Auge. So hatte er doch tatsächlich eine Gruppe Begarden ausgehoben, die im Weberviertel ihre ketzerischen Lehren verbreiteten. Er hätte sie gerne drastischer bestraft gesehen, doch der Erzbischof hatte es dabei belassen, sie und ihre Familien namentlich zu exkommunizieren. Johannes verdächtigte natürlich auch die Beginen, ketzerisches Gedankengut zu hegen und sogar zu verbreiten. Doch es gab beinahe hundertsiebzig Beginenhäuser in der Stadt, und nicht alle konnte er im Blick behalten. Außerdem waren die Bewohnerinnen zum großen Teil Witwen oder Töchter einflussreicher Bürger, mit denen sich anzulegen ihm nicht immer geraten schien. Umso mehr erfreute es Bruder Johannes, als er von dem Zwischenfall während der Messe in St. Brigiden hörte. Er forschte nach und fand alsbald Namen und Stand der Übeltäterin heraus, und es kam ihm auch zu Ohren, dass genau diese Person in einen zweifelhaften Todesfall verwickelt war. Hier bot sich ihm endlich die Möglichkeit, ein Exempel zu statuieren.
8. Kapitel
Lass deine rauen Finger von der dünnen Seide«, mahnte Judith, die Weberin, Almut nachdrücklich. Die beiden Beginen waren damit beschäftigt, die schimmernden Seidenstoffe in grobe Leinentücher zu verpacken, in denen sie bei den Auftraggebern abgeliefert werden sollten. Almut wusste durchaus, dass ihre schwieligen Hände und rissigen Nägel das zarte Gewebe schädigen würden, doch sie konnte dem Drang nicht widerstehen, über das luxuriöse Gewirk zu streichen. Einst hatte auch sie Kleider aus Seide in leuchtenden Farben getragen. In Farben, die ihre grünen Augen wie die einer Katze schillern ließen, die ihrem hellen Teint zärtlich schmeichelten und neben denen ihre vereinzelten Sommersprossen beinahe verschwanden. Es waren schöne Kleider gewesen, jedoch kein schönes Leben, das sie darin geführt hatte. Also schüttelte sie energisch die Erinnerung daran ab und fuhr sich über das Gesicht. Jetzt, nach all der Arbeit im Freien, verschwanden die Sommersprossen ebenfalls, so braun gebrannt war es. Dann riss sie mit einem energischen Ruck eine weitere Bahn des groben Leinens entzwei.
»Almut, da ist ein Weib am Tor, das behauptet, die Magd deiner Eltern zu sein!«
Mettel, die als Pförtnerin Dienst tat, kam in den Arbeitsraum der Weberinnen. Almut legte den Stoff nieder und folgte ihr in den Hof. Sie hatte die Erlaubnis, einmal im Monat ihre Eltern zu besuchen, und wurde dazu stets von einer Dienstmagd abgeholt, damit sie nicht alleine durch die Stadt zu gehen brauchte. Am Tor wartete die füllige alte Anna, die sich umständlich die verschwitzten Hände an ihrem blauen Kittel abwischte, bevor sie Almut begrüßte.
»Nanu, Anna, wie kommt es, dass Frau Barbara dich geschickt hat und nicht eine der jüngeren Mägde.«
»Ach, die Hilla hat ein Geschwür am Bein, das Küchenmädchen, die dumme Trut, hat sich den
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